60 Jahre Vinyl
Wir gratulieren
Special
Wir haben Grund zu feiern, denn: die LP wird dieser Tage 60 Jahre alt. Kein schlechtes Alter für ein Tonträgermedium. Und das trotz so widriger Umstände. Denn ein leichtes Leben hat die Schallplatte wirklich nicht. Bei keinem anderen Medium wird derart am Stuhl gesägt, keines wurde so oft für tot erklärt, dass einem die Standhaftigkeit der schwarzen Scheibe nur sympathisch sein kann. Denn bislang hat das Vinyl noch jeden seiner Nachfolger und oftmals als „Killer“ gelobten Nachfolger überlebt.
Kassette? DAT? Mini-Disc? Die Jüngeren unter uns kennen diese Dinger nicht einmal mehr. Mit der CD hat sich ein einziges Trägermedium gehalten, das die Vinyl tatsächlich in eine Nische drängen konnte. Doch der test of time ist da noch nicht entschieden.
Die Entscheidung für oder gegen Vinyl ist aber viel mehr eine emotionale als eine praktische Faktenabwägerei. Wir haben unsere Redakteure in Klausur geschickt, um zum Geburtstag der LP einmal in sich zu gehen und uns ihre ganz persönliche Beziehung zum schwarzen Gold aufzuschreiben.
Viel Spaß beim Lesen und: Happy Birthday, LP!
Denk‘ ich an Vinyl…
60 Jahre Vinyl – das verdient einen Tusch. Was ich persönlich mit Vinyl verbinde, ist eine seltsame Faszination, obwohl ich genau genommen ein Kind der Generation CD bin. Zur gleichen Zeit wie die ‚Kompaktdiskette‘ entstanden, den anfänglich auf wackeligen Füssen stehenden und mit Argwohn beäugten Markteinstieg noch nicht mitbekommen (dank DDR), aber dann mit vollem Bewusstsein den Siegeszug des digitalen Tonträgers mit 12 Zentimetern Durchmesser erlebt. Trotzdem war mein allererster Tonträger, mit dem ich überhaupt in Kontakt kam, schwarz, groß, rund und für kleine Kinderhände einigermaßen schwer.
Woran ich mich aus diesen frühen Tagen ebenfalls erinnern kann, sind ein paar Eigenschaften, die ich dankenswerterweise bei den kleinen Scheibchen nicht mehr finde. Lagerfeuergeknister, Kratzer und überhaupt ein Medium, welches noch sorgsamer als der eigene Augapfel behandelt werden möchte. Vinyl gehört in Liebhaberhände, die behutsam und zärtlich mit ihm umgehen. Anfangs suggerierten auch die Booklets der meisten CDs aus den 80er Jahren eine ähnliche Empfindlichkeit, doch es sollte sich schnell zeigen, dass die Industrie eines ihrer größten Versprechen tatsächlich gehalten hatte: Gleichbleibende, oder genauer gesagt identische Klangqualität unabhängig vom Gebrauch. Wer seine Lieblingsschallplatte bereits zum 100. Mal abspielt, weiß genau, was das bedeutet.
Der Abnutzungsgrad ist ein echter Downer: 180g Vinyl wiegt mehr, als man denkt. Neben Staub- und Schmutzpartikeln ist die Schwerkraft sein größter Feind. Es beschädigt auf Dauer seine schöne Papp-Umhüllung, wird durch den Tonabnehmer abgenutzt, zerkratzt (egal, wie vorsichtig man ist). Während man aus CDs imposante Türme bauen kann (ob mit oder ohne Hülle), wissen Plattensammler, dass man nie mehr als 20 Vinyls übereinander stapeln sollte. Um eine CD zu zerstören braucht man viel Kraft, bei Vinyl reicht dazu weit weniger. Einmal zerkratztes Vinyl bleibt zerkratzt, selbst kleinste Haarkratzer nimmt der Plattenspieler übel. CDs kann man bis zu einem gewissen Grad noch abfräsen (weil CDs ja genau genommen Medium UND Träger sind, während Vinyl beides in einem ist). Will man Vinyl über Jahre im Bestzustand erhalten, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder, man lässt es ungenutzt und ungeöffnet im Plattenschrank stehen, oder man macht aus der Plattenpflege eine kleine Wissenschaft.
Und genau hier sind wir meiner Meinung nach an einem Punkt, der diese Faszination am schwarzen Gold ausmacht: CDs sind sehr robust, und reagieren weitaus weniger empfindlich, obgleich sie im Grunde die gleichen „Feinde“ wie Vinyl haben. Vinyl selbst aber erfordert echte Hingabe, Behutsamkeit und Vorsicht, sodass man nicht umhin kommt, eine ganz besondere, persönliche Beziehung dazu aufzubauen. Das ist einzigartig und kann man bei keinem anderen der so vielfältigen Tonträger beobachten.
Einzigartig ist Vinyl auch deshalb, weil es wie kein anderer Tonträger die Musikwelt bis heute (medienübergreifend!) beeinflusst. Single, Extended Play, Album – diese Formate verdanken wir ausschließlich Vinyl, auch wenn die große Mehrheit dieser Formate längst nicht mehr auf Vinyl erscheint. Und dann das sogenannte haptische Erlebnis: Man muss einfach nur mal ein Doppelvinyl-Album mit Gatefoldcover und dickem Textbuch in die Hand nehmen. Video-Enthusiasten konnten das bei Laserdiscs noch nachfühlen, doch ansonsten sind CDs nahezu unscheinbare Fliegengewichte, die man mit zwei Fingern halten kann.
Denk‘ ich an Vinyl, dann kommen mir viele Bilder und teils obskure Geschichten in den Sinn. Zum Beispiel THE KLF, die 1987 extra nach Schweden fuhren, um dort in einem Feld alle verbliebenen Exemplare ihres Albums „1987“ zu verbrennen. Es war das reinste Samplefest, was das englische Kultduo damals noch unter dem Namen THE JAMS abgefeiert hatte, doch vor allem ABBA fanden das gar nicht witzig. Kurze Zeit später wurde „1987“ mit vielen Leerstellen und Selbstbauanleitung wiederveröffentlicht. DJ SHADOW hätte in dieser Situation gleich einpacken können, besteht doch sein Sampling-Meisterwerk „Endtroducing…“ ausschließlich aus dem Klangfundus seiner mehr als 60.000 Platten umfassenden Sammlung.
Ich denke an den Krachpionier Boyd Rice, der damals in viele frühe Platten seiner Band NON extra Löcher bohrte, um durch diesen ‚multi-axis‘-Effekt ganz neue Töne zu erzeugen. Nicht zu vergessen, dass es diesen innovativen Platten auch vollkommen egal war, in welcher Geschwindigkeit sie abgespielt wurden. Auf CDs könnte man das nicht mal reproduzieren. Ich denke an technische Spielereien wie ‚locked grooves‘, parallele Tracks und ‚backward masking‘, zu denen es u.a. mit ‚pre-gap audio‘ CD-Pendants gibt.
Ich denke an Flexi-Discs und ‚picture-vinyl‘, wobei letzteres kein Vergleich zum heute nicht mehr gängigen Begriff „picture disc“ ist. Früher war es etwas ganz besonderes, wenn CDs mehrfarbige Offset/Siebdruck-Labels hatten. Vinyl hingegen begeistert auch heute noch mit Bildern, die sich über das gesamte Medium erstrecken; Vinyl in Marmor-Optik, transparent, phosphoreszierend, mit eingebrannten Laser-„Tattoos“ und sogar duftend. Es war und ist nach wie vor ein Rohstoff, der zum Experimentieren einlädt. Einen festen Platz in der Geschichte hat auch die „Han-O-Disc“ von 1978 mit flüssiger Farbfüllung – ein bemerkenswerter Effekt, der jedoch nie über den Prototypen hinauskam.
Ich denke an das für Sammler vielleicht spannendste Medium. Vinyl mit individuellen Markierungen, handgeschrieben oder eingekratzt, die jedem Exemplar etwas Eigenes, Persönliches verleiht, ebenso wie die eigenwilligen Formen sog. ’shape vinyls‘. Ob einfache Umrisse oder Sägezahn-Ränder – bei Vinyl gibt es keine Probleme mit Unwucht auf dem Plattenteller (als Vergleich sollte man mal eine Shape-CD in einem Auto-CD-Spieler benutzen…). Und ganz besonders wertvoll sind natürlich die Exemplare, die noch nicht aus der Form herausgeschnitten wurden.
Nummeriertes Vinyl, Erstveröffentlichungen, Promo-Releases, Testpressungen (die es in dieser Art bei CDs einfach nicht gibt)… Vinyl wird mit jedem weiteren Jahr zu einer Wertanlage, bei der seltene Exemplare heute schon fünfstellige Preise erreichen. Für das fünfte Exemplar des „White Albums“ wurden 2008 stattliche 19.200 Pfund bezahlt, und darf man aktuellen Schätzungen glauben, dann stammt das wertvollste Stück Vinyl heute von den SEX PISTOLS – vermutlich auch deshalb, weil es nie offiziell erschienen ist.
Totgesagte leben länger
Als man vor mehr als 100 Jahren begann, Musik aufzunehmen, sorgte man sich um Live-Musik, noch mehr, als selbst die Filme das „Sprechen“ lernten. Ein paar Jahrzehnte später sollte dann die Kassette den Tod der Schallplatte bedeuten. Diese erste Prophezeiung traf nicht ein, da wurde sie mit der Einführung der CD noch einmal wiederholt. Diesmal sollte Vinyl wirklich am Ende sein, massive Verkaufseinbrüche schienen einen Trend zu bestätigen, an dessen Ende das Verschwinden dieses geschichtsträchtigen Tonträgers stehen sollte.
Doch warum ist Vinyl selbst heute noch am Leben, aber die Kassette nicht mehr? Oder korrekter formuliert: Warum wird Vinyl heute noch hergestellt (in steigenden Zahlen!), während die letzten, hergestellten Kassetten bald begehrte Mangelware sein werden? Tatsächlich ist die Kassette wohl das unpraktischste Medium, man denke nur an das lästige Vor- und Zurückspulen, an Bandsalat, Bandriss und unglückliche Begegnungen mit Magnetfeldern.
Ein Medium kann nur ersetzt werden, wenn das neue Medium tatsächlich alle Eigenschaften und Funktionen des Vorgängers erfolgreich übernimmt und übertrifft. Spätestens durch die ersten beschreibbaren CDs konnte die Kassette komplett ersetzt werden, Vinyl hingegen bis heute nicht. Angeführt wird dabei gern ein technischer Aspekt, nämlich der direkte Zugriff, die direkte Tonabnahme im Wiedergabeprozess. Stichwort Scratching, Stichwort DJ-Kultur: Kein Caching, kein Buffering, alles live.
Bedeutender aber sind eben die ganzen Besonderheiten, die Vinyl in den Augen seiner Sammler und Liebhaber einen Status verleihen, den die CD in mehr als 30 Jahren nicht erreichen konnte. Und sollte sie eines Tages tatsächlich sterben (was ich für wahrscheinlich oder besser unausweichlich halte), dann wird Vinyl immer noch existieren. Der einzige, wirklich wahrscheinlich Todesstoß ist schlichte Ressourcenknappheit – wenn die Menschheit im Kampf um die letzten Öltropfen auch noch die einst besten Freunde abmurkst. Aber das werde ich glücklicherweise nicht mehr erleben, und danach interessiert meine Sammlung sowieso niemanden mehr.
Meine Plattenkiste
Auch wenn mich Vinyl fasziniert – für mich persönlich ist und bleibt es ein reines Sammlerobjekt im engsten Sinne. Mein Hauptmedium ist die CD, und alles, was nicht exklusiv vinyl-only veröffentlicht wird, landet in physischer, digitaler Form in meiner Sammlung. Der Hauptgrund ist audiophiler Natur, ohne dass ich hier die ewige, und im Grunde völlig sinnlose, da vollkommen subjektive, Diskussion über die Klangunterschiede CD vs. Vinyl anstoßen will.
Umso mehr schätze ich daher die kleinen, großen Juwelen, die sich zu den Silberscheibletten gesellen und deshalb auch nicht in ihrem Schatten stehen. Ich kaufe sie, weil eine Veröffentlichung in meinen Augen physisch existieren muss. Ich halte trotz aller Vorzüge von mp3 & Co. rein gar nichts von rein digitalen Veröffentlichungen, weil ich einfach etwas in der Hand haben muss. Und wenn das nicht in CD-Form möglich ist, dann eben auf Vinyl. Schön, dass es mittlerweile viele Vinylveröffentlichungen mit begleitenden mp3s gibt, auch wenn es da gerade bei älteren Werken noch sehr viel Nachholbedarf gibt. Aber das ist doch das Beste mich als CD-verwöhnten Hörer: Vinyl besitzen und es nicht benutzen müssen!
Mein größter Schatz ist das „Analord“-Set von APHEX TWIN. Ein edel aufgemachter Ordner in Lederoptik mit 12 mal 12-Zoll-Vinyl. Musikalisch aber genauso non-metallisch wie meine derzeitige Suchliste, u.a. Caustic Window, Björk, Bradley Strider, Bochum Welt, Black State Choir.
Und auch wenn sich meine Kollektion nur sehr langsam vergrößert – schön dass es Vinyl gibt.
Bastian Voigtländer
So so, die LP wird 60 Jahre alt. Da wünsche ich doch herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag – und überlasse alles weitere den Fans und Sammlern des edlen Kunststoffes. Ich persönlich bin nämlich fast zu jung, um das Phänomen „Schallplatte“ noch in vollem Ausmaß mitbekommen zu haben. So hatte die CD die LP bereits abgelöst, als ich anfing, mich für Musik in Form von Tonträgern, die man kaufen, aufbewahren und einlegen kann, zu interessieren. Und als ich im Alter von elf, zwölf Jahren erst so wirklich zu hartem Rock und Metal kam, machte die .mp3-Datei bereits ihre ersten Gehversuche.
Dementsprechend schätze ich die LP als das Medium, was uns die hart rockende Musik als erstes ins Wohnzimmer zu bringen vermochte, und natürlich habe ich auch ein paar ausgewählte Stücke als Zierde meiner Sammlung zu Hause stehen. In erster Linie steht die LP für mich aber eher für die Dinger, die früher in Papas Schrank standen, die man nicht anfassen durfte und bei denen man erstmal mit großen Augen fragen musste, wenn man eine davon hören wollte (so oft bei irgendeiner Platte der BEATLES passiert, wenn ich mich recht erinnere).
Insofern: Happy Birthday, liebe LP – aber fast unbekannterweise.
Stephan Möller
Die Vinyl-Schallplatte wird 60, und somit passt meine Lebensspanne fast dreifach in die der Langspielplatte rein. Aber als Kind bin ich bereits mit CDs aufgewachsen und habe meine spätere Jugend bereits mit MP3s verbracht. Was habe ich also für eine Bindung zum Vinyl?
Gute Frage. Ich wette darauf, dass mindestens Dreiviertel meiner Generation die Schallplatten für ein Relikt des Mittelalters und CDs schon für ein aussterbendes Medium halten. Die Zeit tickt nun mal digital und die Musik kommt in Form von MP3s locker auf den eigenen Rechner. Wieso gibt es aber dennoch Leute wie mich, die quasi keine Vergangenheit mit Vinyl haben und dennoch dazu übergegangen sind, sich Neuveröffentlichung eher in Groß statt in Platzsparend zu kaufen? Und vor allem, warum gibt jemand in meinem Alter noch Geld für Vinyl aus, wenn er das Album schon auf CD hat?
Die Antwort ist so simpel wie unspektakulär: Weil es schöner ist. Allein das Album-Cover in der fünffachen Größe einer CD-Hülle macht einiges her, und auch das „Feeling“ ist anders. Es hat etwas beinahe Zeremonielles, die neueste Platte aufzulegen, sich zurückzulehnen und zu genießen. Dagegen ist der Klick mit der Maus auf dem PC beinahe ein kultureller Unfall, der keinerlei Ritual beinhaltet und Musik fast zu etwas völlig Banalem reduziert. Das ist natürlich überspitzt formuliert, denn auch ich höre viel Musik am PC und auf dem MP3-Player, aber nichts hat etwas derart Magisches, wie seine Lieblingsplatte aus der Kiste zu holen, die LP ehrfürchtig aus der Hülle zu nehmen und vorsichtig auf den Plattenspieler zu legen.
Davon mal abgesehen, wie viel Sammelleidenschaft dabei entsteht. CDs sind im Vergleich so winzig, dagegen macht beispielsweise die DEATHSPELL OMEGA-LP-Box eine sehr imposante Figur, aber auch in schwarzem Karton versiegelte LPs wie die „Foulest Semen Of A Sheltered Elite“ von THE RUINS OF BEVERAST sind etwas ganz Besonderes, dessen „Besonderheit“ selbst ein limitiertes Digipack oder eine A5-Veröffentlichung nie hinbekommen werden. Und so bin ich froh, dass das Vinyl seinen 60-jährigen feiert und selbst in einer schnelllebigen Zeit wie der unseren, zumindest in kleinen Kreisen, einen festen Status innehat.
Jan Wischkowski
Édouard-Léon Scott de Martinville, Thomas Edison, Emil Brenner, Peter Goldmark – man kann all jenen, die an der nun mehr als 150 Jahren dauernden Entwicklungsgeschichte der Schallplatte beteiligt waren, gar nicht genug danken. Und auch wenn das, was wir heute gemein als Vinyl bezeichnen, horten und pflegen, auch schon bereits vor 60 Jahren mit der Nutzung von Polyvinylchlorid (PVC) die Langspielplatte richtig trag- und salonfähig wurde, ist die Faszination am flachen Plastikteller ungebrochen.
Nicht zuletzt auch deswegen, da das Vinyl im Gegensatz zu seinem vergleichsweise seelenlosen digitalen Bruder CD über eine schier unerschöpflich juvenile Verjüngungskraft im äußeren Auftritt verfügt. Wo sonst findet man so herrlich die eigene Sammlung aufwertende Kleinodien wie die letzte AUSTERE-Veröffentlichung „To Lay Like Old Ashes“, deren edle Verpackung aus kartoniertem Papier mit Golddruck dem Bernsteinantlitz des PVC in nichts nachsteht?
Selbst wenn digitale Tonträger in Punkto Bequemlichkeit, Absatzpotential und somit Marktmacht dem älteren Tonträgerformat so einiges voraushat: das Nischenprodukt Vinyl ermöglichte vor allem in den Tagen kurz vor der digitalen Revolution eine immense Varietät an Versionen und Konfigurationen, die z.B. mit Sonderpressungen den lokalen Marktgegebenheiten und Konsumentenpräferenzen angepasst wurden, selbst innerhalb eines einzelnen Releases. Bei dem unübersichtlichen Spezifikationschaos konnte schon mal was danebengehen und Mehrfachpressungen, wie METALLICAs „Creeping Death“-Single, seit Veröffentlichung 1984 in knapp 20 Versionen zu haben, wurden Opfer des Fehlerteufels. Glücklich kann sich der schätzen, der über Auktionsplattformen per Zufall und für wenig Bares an die seltene holländische Pressung auf Roadrunner Productions kommt – Schreibfehler inklusive:
Der Zufall ist es auch, der zumindest bei mir seine Finger im Spiel hatte, als es darum ging, die Vinyl-Leidenschaft zu entfachen. Anno dazumal bat mich ein Kollege, für einen seiner Kollegen ein paar Platten über ebay zu verscheuern. Durch eine glückliche Fügung konnte ich die kleine Sammlung von etwa 20 Platten hernach aber mein Eigen nennen, schnupperte den Duft der Musikgeschichte und kann seitdem an kaum einem Second Hand-Plattenladen ohne Stippvisite vorbeigehen.
Verantwortlich waren dafür unter anderem diese Erstpressungen: SUFFOCATIONs erstes offizielles Release „Human Waste“, DEATHs „Spritual Healing“ (noch ein Vinyl Selling Point: bemerkenswerte Artworks gewinnen durch die Größe einfach dazu) und CANNIBAL CORPSEs „Butchered At Birth“, noch in BPjM-konformem rotem Sleeve:
Schmerzlich vermisst wird auf diesem Bild übrigens das DISMEMBER-Debüt „Like An Everflowing Stream“ als Picture LP, das ich in einem Anfall geistiger Umnachtung verkauft habe. Sachdienliche Hinweise zu seiner Wiedererlangung werden gerne entgegengenommen. Bis dahin: auf die nächsten 60 Jahre sperriges aber charmantes Tonträgermaterial!
Peter Mildner
60 Jahre Vinyl-Schallplatten! Erstaunlich, denn eigentlich ist ja Vinyl seit Anfang der Neunziger tot. Jedenfalls war das vor gut zwanzig Jahren das Schlagwort, mit dem das CD-Zeitalter endgültig eingeläutet werden sollte. Und wie viele Freunde und Bekannte haben daraufhin ihre komplette Plattensammlung verscherbelt und sich dieselben Scheiben als CD gekauft. Zugegeben, die Zukunft des schwarzen Goldes war mehr als fragwürdig, Neuerscheinungen gab es nurmehr als CD, und das neue Medium passte tatsächlich viel besser in die digitale Welt mit todschicken und tragbaren CD-Playern, PCs und CD-Brennern.
Welch ein Unsinn! Das Medium CD befindet sich heute selbst auf dem absteigenden Ast, viele Bands veröffentlichen ihre neuen Scheiben zusätzlich wieder in Sammlerauflagen als Schallplatte oder sogar ausschließlich auf Vinyl. Und der Sound? Ehrlich, die Unterschiede sind bei guten Playern minimal, wenn überhaupt hörbar – und in Zeiten von schlechten Downloads und Streams erscheint diese Diskussion sowieso lächerlich.
Kurzum: Ich habe mich damals nicht von meiner Sammlung getrennt, sondern im Ausverkauf nochmal mit zahlreichen Scheiben eingedeckt, und die haben heutzutage häufig Liebhaberwert: DARKTHRONEs „Under A Funeral Moon“, „Into The Grave“ von GRAVE… Ihr wisst bescheid. Und außerdem hatte Vinyl immer schon mehrere Vorteile: Erstens die schicken großen Cover und zweitens die Möglichkeit, die Scheiben in tollen Picture-Disc-Auflagen herauszubringen. Schaut Euch die nette Picture-Single von DISMEMBERs „Skin Her Alive“ an, und Ihr werdet mir zustimmen. Drittens hat die Beschränkung auf knapp 45 Minuten Musik auch Vorteile: Die Möglichkeit, Füllmaterial auf der Scheibe unterzubringen, war einfach begrenzter. Und nicht zuletzt hat das Plattenumdrehen etwas fast schon Rituelles.
Und heute? Bin ich zumeist auf der Suche nach Raritäten. Natürlich ist immer noch nicht alles als CD erschienen, was dereinst aufgelegt wurde, was manchmal natürlich seinen guten Grund hat. Aber es macht Spaß, in Second-Hand-Läden nach vergessenen Schätzen zu stöbern. Insofern wünsche ich dem Vinyl für die Zukunft natürlich alles Gute, zumindest so lange mein Plattenspieler noch einen Ton von sich gibt. Prost!
Eckart Maronde