Year Of No Light - Vampyr

Review

„Plötzlich drang aus dem Bodengang, der ins Endlose führte, das dämonische Klappern und Keuchen einer gotteslästerlichen Orgel, die in höhnischem, verstimmtem Baß allen Spott der Hölle herauswürgte und polterte“ (H.P. Lovecraft; „Grauen in Red Hook“)

YEAR OF NO LIGHT (oder YONL), die alten Klangpoeten, haben sich mit „Vampyr“ mal wieder etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Die Grundidee liest sich wie folgt: Man nehme einen wirklich stimmungsvollen, düsteren Schwarz-Weiß-Film (in diesem Falle den Genre-Urvater Vampyr – Der Traum des Allan Grey des dänischen Regisseurs Carl Theodor Dreyer) aus dem Jahre 1932. Hierdrauf legt man eine eigens komponierte musikalische Untermalung, angepasst an die Dynamik des Films – ganz im Stile von klassischen Stummfilmorchestern. Nun ist Vampyr kein reiner Stummfilm, denn gelegentlich finden sich auch gesprochene Passagen – das Werk fällt mitten in Übergangszeit vom Stumm- zum Tonfilm – und war für die Zeit Anfang der 1930er Jahre ein durchaus experimentelles Werk. Eindeutig steht die visuelle Wucht im Vordergrund dieses cineastischen Kolosses, Handlung und Dialoge bilden lediglich einen begrenzenden Rahmen. Die recht surreale und groteske Darstellung der Charaktere und der Einsatz neuartiger Kameraeinstellungen trägt ein Weiteres zu dem speziellen Charme von Vampyr – Der Traum des Allan Grey bei: Szenen, wie sie sich kein Edgar Allan Poe und kein H.P.Lovecraft hätten besser ausdenken und inszenieren können.

Die Handlung beschreibt dabei einen reisenden Studenten, der in einem französischen Dorf unterkommt und in einer Folge von Ereignissen herausfindet, dass dies von einem Untoten, einem „Vampyr“ in Gestalt einer alten Frau, heimgesucht wird. In der Folge muss er schreckliche Visionen durchleben, ehe es im gelingt, das Mädchen Léone aus den Fängen des Vampirs und ihrer Helfer zu befreien, dem Biest ein Ende durch Pfählung zu bereiten und das Dorf damit zu erlösen.

Die Wahl zur Vertonung eines Filmes hätte also nicht besser ausfallen können, um den extravaganten musikalischen Stil von YONL aufzunehmen und wirkungsvoll zu untermalen: Denn was auf „Vampyr“ geboten wird ist kein Album im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr ein einziger, knapp siebzig Minuten langer Track. Dabei ist „Vampyr“ zwar ähnlich einem Soundtrack aufgebaut, aufgrund der langsamen Bildfolge der visuellen Vorlage entstehen jedoch keine hektischen Stellen, die Erzählstruktur des Filmes erlaubt damit den langsamen Aufbau von Höhepunkten und Spannung. Dies fördert damit die speziellen Trademark der Franzosen zutage: Die Fähigkeit ausufernde, träumerische und tiefe Klangwelten zu erschaffen. Die sechzehn Tracks sind somit als Maßeinheit wenig aussägekräftig, denn im Grunde lässt sich „Vampyr“ nur grob in Phasen einteilen, die dem Spannungsbogen des Filmes folgen.

Der Einstieg in „Vampyr“ ist dabei noch recht gedämpft: Einzelne, helle Gitarren arbeiten sich aus einem düsteren, stetig treibenden Hintergrund hervor, ein aufziehender Sturm, der ein Donnergrollen und drohende Gefahr ankündigt. Der Übergang in den Mittelteil erfolgt bei Track Nummer Fünf „Meurtre“, der den Weg freigibt für den bewährten Stil der Franzosen – mehrstimmige Gitarren, flüchtig eingeworfene Melodien und schwebende Keyboards künden von den schrecklichen Gegebenheiten, die Filmprotagonist Allan Grey erfahren muss und umschreiben eine surreale Traumwelt, durch die Film und Album sich gleichermaßen arbeiten. Zum Abschluss geht es dann in nochmal zugespitzt an Dramatik und unterlegt mit schweren, dröhnenden Riffgewitter dem unvermeidlichen Ende entgegen, der dann die aufgestaute Spannung leicht auslaufen lässt.

„Vampyr“ ist mitreißend, emotional und fesselnd, erfordert jedoch zwingend einen vollständigen Hördurchgang. Einzelne Tracks herauszupicken verfehlt völlig das Ziel, man muss die gesamte Spielzeit also fest einplanen. Den direkten Vergleich mit dem ebenfalls bereits 2013 erschienenen „normalen“ Album „Tocsin“ entscheidet „Vampyr“ knapp für sich: Den etwas unhomogenen Aufbau von „Tocsin“ findet man bei „Vampyr“ schlicht nicht, die Strukturen sind fokussierter und der Scheibe ist damit allgemein besser zu folgen –  der Ablauf des Filmes wirkt sich damit eindeutig positiv auf das Schaffen von YONL aus. Weiterentwicklelt wird auf „Vampyr“ zudem der Stil der Truppe, der sich zunehmend aus reinen Post Metal-Gefilden hin zu einem Ambient- und Drone-Schwerpunkt bewegt, Doom-Parts kommen eigentlich auch nur noch als ein Stilelement unter vielen anderen Ideen zum Einsatz.

Abschließend ist festzustellen, dass „Vampyr“ als Album ausgezeichnet funktioniert, jedoch seine volle Wucht erst im Zusammenspiel mit dem gleichnamigen Film entfaltet. Wem es also gelingt, der visuellen Darstellung von Vampyr – Der Traum des Allan Grey habhaft zu werden, der sollte unbedingt einmal versuchen, eine synchronisierte Vorführung von Ton- und Bildmaterial zu erreichen und entsprechend auf Leinwand und ordentlicher Musikanlage zu inszenieren. Ein unvergleichliches Erlebnis und eine perfekte Symbiose aus wuchtigem Klang und verstörendem Bild.

01.04.2014

Iä! Iä! Cthulhu fhtagn!

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