Wobbler - Dwellers Of The Deep

Review

Skandinavischer Prog, speziell jener aus der Retro-Sparte, kommt selten um einen Vergleich mit den schwedischen Prog-Heroen ÄNGLAGÅRD herum, die diesen Sound in den Neunzigern (wieder) salonfähig gemacht haben. Ob sich die Norweger WOBBLER darüber jemals aufgeregt haben? Andererseits ziehen die Herren diesen Retro-Stiefel nun auch schon seit fast 20 Jahren durch. Da dürfte das denen mittlerweile herzlich egal sein, zumal sich die Norweger, die sich nach einem Utensil aus dem Angelsport benannt haben, dadurch einen Namen gemacht haben, dass sie den Sound der progressiven Siebziger mit dem richtigen, zeitgemäßen Instrumentarium einfangen.

Ohrengeschmeichel von und mit WOBBLER

Man addiere noch die skandinavische Mystik und Melancholie, einen leichten Hauch Folk hier und da sowie gesangsorientiertes Songwriting hinzu, subtrahiere die Heaviness von ÄNGLAGÅRD und kommt ziemlich genau bei „Dwellers Of The Deep“ heraus, dem mittlerweile fünften Album der Band. Und wenn man sich erstmal in den Tiefen von „Dwellers Of The Deep“ verloren hat, vergisst man die Referenzen schnell, da WOBBLER dank ihrer altbackenen Instrumentierung einfach so organisch und warm klingen, dass sich das Album praktisch wie von selbst erschließt. Man muss sich als Hörer zwar durch immerhin drei Longtracks kämpfen, aber das machen einem die Norweger dankbarerweise relativ leicht.

Die haupstächlichen Zutaten jenseits der bereits erwähnten Schweden schmecken vordergründig nach YES und GENESIS, wobei der Gesang von Andreas Wettergreen Strømman Prestmo ein bisschen so klingt, als intoniere HÄLLAS‘ Tommy Alexandersson die klassischeren Gesangslinien von Jon Anderson. Das passt aber sehr gut, zumal der Kerl nahezu jeden Ton trifft, den er anpeilt. Mehrstimmige Gesangslinien an den richtigen Stellen verleihen seiner Darbietung ein zusätzliches Maß an Dramatik, tragen aber nie zu dick auf. Das kann man im Grunde auf das gesamte Album transferieren: Es ist ein gediegenes Prog-Kleinod, das jederzeit angenehm anzuhören ist und zu keiner Zeit ausufert.

Die Retrospektive verkommt nicht zum Selbstzweck

Der Opener „By The Banks“ scheint ein bisschen abrupt zu beginnen, aber sobald sich die Band eingegroovt hat, schwingt sich das Stück relativ souverän ein und leitet den Hörer elegant durch verschiedene Stimmungen. Wer möchte, darf sich ein bisschen an HÄLLAS erinnert fühlen, nur eben mit antiquierter Klangästhetik und beschwingter Rhythmik. Die Orgel meckert immer wieder munter dazwischen, wird damit aber nie zu aufdringlich. Die Band spinnt ein ziemlich konsistentes Stück, findet im letzten Drittel dennoch Zeit, eine kleine, aufgeweckte Folk-Passage dazwischen zu klemmen.

Beim folgenden „Five Rooms“ wird nach kurzem Intro zunächst etwas beherzter gerockt. Im weiteren Verlauf nehmen die Norweger jedoch vermehrt den Fuß vom Gaspedal, um dem Song mehr Entfaltungsfreiraum zu bieten. Dieser wird kompositorisch auch gebührend ausgeschöpft. Hier darf man sich bei der einsam keckernden Orgel durchaus mal etwas mehr an klassische GENESIS erinnert fühlen. Das folgende „Naiad Dreams“ ist mit etwas mehr als drei Minuten der kürzeste Song der Platte und perlt mit seiner ruhigen, atmosphärischen Beschaffenheit samtig herunter. Besonders die etwas prominentere, akustische Instrumentierung fängt diese seltsame, mystische Magie des nordischen Progs eindrucksvoll ein.

In „Dwellers Of The Deep“ kann man durchaus mal eintauchen

Den Höhepunkt erreicht „Dwellers Of The Deep“ dann aber mit dem abschließenden Neunzehnminüter „Merry Macabre“, bei dem WOBBLER alle songschreiberischen Register ziehen. Man kann das Ding als eine kleine Rock-Symphonie betrachten, nicht auf dem sensationellen Level eines „Close To The Edge“, versteht sich, aber dennoch auf ganzer Strecke unterhaltsam und virtuos in Szene gesetzt. Die alten Prog-Tricks kommen besonders hier zur Geltung, wenn Motive vorgestellt und im weiteren Verlauf, teilweise vor anderem musikalischen Background, wieder aufgegriffen werden. Das schmieren die Norweger ihren Hörern jedoch zu keiner Zeit zu offensichtlich aufs Brot.

Und das ist die große Magie von „Dwellers Of The Deep“: Es kocht zwar nur – sehr bewusst – mit den Wassern der Siebzigern, das entstehende Süppchen mundet jedoch durchweg dank seiner nie zu dick aufgetragenen Würze. Mystiker und Prog-Nasen, die in Sachen Härtegrad auch mal einen Grad herunterschalten können, kommen hier voll auf ihre Kosten. Aber auch weniger Prog-affines Publikum sei hiermit eingeladen, in „Dwellers Of The Deep“ abzutauchen. Denn WOBBLER haben einen Sound gemeistert, der so elegant ins Ohr gleitet, dass man als Hörer praktisch zu keinem Zeitpunkt überwältigt wird. Also einlegen und abwobbeln.

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08.11.2020

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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