Witchcraft - Nucleus

Review

WITCHCRAFT machen es einem aber auch nicht leicht. So gar nicht. Haben WITCHCRAFT noch nie – ständig wechselnde Besetzung, immer ein anderes Konzept. Und mit „Nucleus“, ihrem neuesten Werk? Natürlich auch nicht – und diesmal ganz besonders nicht. Aber schön der Reihe nach: Das fünfte Album der Schweden um Mastermind, Sänger und Gitarrist Magnus Pelander steht zunächst einmal unter dem Vorzeichen einer kompletten personellen Neuaufstellung. Dieser Umbau geht auch mit einer musikalischen Neuorientierung einher – und zwar einer, die den Hörer stärker fordert als bisher: „Nucleus“ ist emotionaler, schwerer und mutiger als alle bisherigen Werke der Hexenkünstler.

„Legend“, der direkte Vorgänger, war geschmeidig, geradezu gefällig. Ein bisschen Hard Rock, ein bisschen Stoner, ein bisschen Doom, nur kleine Kanten beim Sound bargen Aufregung. Eine gemütliche Paddeltour auf einem stillen Waldsee. Dem gegenüber ist „Nucleus“ Wildwasser-Rafting: Aufbrausend, voller Hindernisse und Untiefen. Aber vor allem auch unberechenbarer und aufregender als jedes Werk der bisherigen Diskografie WITCHCRAFTs. Hier trifft ein doomiger Grund auf eine markant psychedelische Note mit abgedreht-progressivem Einschlag. Die mittlerweile auf ein Trio geschrumpfte Kapelle führt auf „Nucleus“ neun Songs ins Feld, die es in sich haben: Schon der Opener „Malstroem“ eröffnet mit bester JETHRO TULL-Gedächtnis-Flöte, gibt sich leicht und unbeschwert – und reißt einen dann mit der Wucht einer unüberwindbaren Gitarrenwand zu Boden. Und da sollte man auch, metaphorisch gesprochen, besser liegen bleiben. Denn aufzustehen lohnt sich nicht, WITCHCRAFT teilen weiter mit harten Bandagen aus: „Theory Of Consequence“ treibt mit einem denkwürdig schweren Groove, die bereits vorab veröffentlichte Single „The Outcast“ bezaubert mit Querflöte zu Beginn, eindringlichem Gesang und einem meisterhaften Songaufbau, der im furiosen Orgel- und Gitarrenduell endet. Und so geht es voran auf „Nucleus“: Über den viertelstündigen Psychdelic-Wahnsinn, der den Titeltrack bildet, das jazzig-bluesige „An Exorzism Of Doubts“, das rockige „The Obsessed“ hin zum räudigen „To Trancend Bitterness“. „Helpless“ schließlich bereitet mit akustischer Gitarre den fulminanten Rausschmiss vor – „Breakdown“. Westernhaft-trockene Monotonie und spacige Effekte in der ersten Hälfte, bräsig-schnarrendes Stoner-Geschleppe mit wahnhaftem Gesang in der zweiten: Wer das die gesamte Viertelstunde durchzieht, ist gedanklich ganz sicher nicht mehr bei seinen Alltagsproblemen.

So steht man dann letztlich nach dem ersten Hördurchgang da, mit einem Album, das zweifellos mitreißt, aber auch durchgehend anstrengt, und man versucht sich eine Meinung zu bilden. Und genau an dieser Stelle mag der Ansatz sein, und vielleicht die einzige Gelegenheit, dem Werk gegenüber eine kritische Haltung einzunehmen: WITCHCRAFT schöpfen aus dem Vollen, fordern heraus und lassen über die gesamte Stunde, die „Nucleus“ läuft, nicht eine Ruhepause zu. „Überladen“, „überheblich“ und „ziellos“ wären dann die passenden Beschreibungen, die man ziehen könnte. Zu viele Gitarrensoli, zu viele Schnörkel, zu viel Schaumschlägerei. Wenn man denn will und noch kann. Denn andernfalls ist man überschwenglich begeistert und schmeißt gleich die nächste Runde auf dem Plattenteller an. Zwischen diesen Extremen wird sich wenig abspielen: Allerbeste Schwarz-Weiß-Malerei aus dem schwedischen Örebro also, geschickt getarnt als Rockmusik. Exzentriker Pelander hat dabei ganz nebenbei seine markante Stimme zur Höchstleistung getrieben, er klagt, jammert und trällert, dass es eine wahre Freude ist. Und er bietet alles auf, was dem musikalischen Ziel dient: Weiblicher Chorus, Akkordeon, Piano, Sprach-Samples. Erlaubt ist eben, was gefällt. Ein musiklaischer Strauß, der so groß und bunt ist, dass er kaum durch die Tür passt.

Also machen es WITCHCRAFT einem mit „Nucleus“ letztlich doch leicht:  Denn wer Lust hat, von seiner Lieblingsmusik mal wieder ein bisschen gefordert zu werden, der wird mit einem unvergesslichen und ereignisreichen Trip belohnt.

15.01.2016

Iä! Iä! Cthulhu fhtagn!

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