Wintersun - Time II

Review

18 Jahre – eine komplette Kindheit und Jugend ist es her, dass Jari Mäenpää den Nachfolger seines selbstbetitelten WINTERSUN-Debüts ankündigte. „Time“ sollte er heißen und noch 2006 oder 2007 erscheinen. Was folgte, ist hinlänglich bekannt: Eine Odyssee der Verschiebungen und Versprechen, die mit GUNS ‚N ROSES‘ „Chinese Democracy“ oder „Duke Nukem Forever“ lässig mithält. 2012, das ist zwölf Jahre her, erschien mit „Time I“ 50 Prozent des angekündigten Monumentalepos. Teil 2 sollte 2013 folgen. Es dauerte noch einmal elf Jahre, zwei Crowdfundings und ein dazwischengeschobenes Album bis „Time II“ endlich auf unserem Plattenteller landet. Die Erwartungen sind astronomisch hoch, insbesondere, da im Vorfeld keine Single herauskam.

WINTERSUN – 18 Jahre für ein Album

Wir müssen keinem, der sich für WINTERSUN interessiert erklären, wie die Band klingt: Epischer Melodic Death Metal mit Versatzstücken aus Power Metal, Melodic Black Metal und Folk Metal ist die Marschrichtung. Da „Time II“ an sein Geschwisterchen anknüpft, überrascht eine Ähnlichkeit im Aufbau nicht. Wir bekommen ein opulentes Intro, zwei Tracks mit Überlänge, ein Interlude und abermals zwei überlange Stücke geboten.

Kommen wir zu der Frage, ob man „Time II“ die Zeit und das Geld, das in die Scheibe geflossen ist, anhört. Die Antwort ist ein klares „Jein“, denn der Sound ist glasklar, drückt brutal aus den Boxen und ist sehr differenziert. Er ist auch besser als der von „Time I“, doch im Direktvergleich mit WINTERSUN-Jüngern und Epic-Metal-Kollegen ATAVISTIA und derem aktuellen Output „Cosmic Warfare“ muss man sich fragen: Warum hat es so lange gedauert? Jene Scheibe der Kanadier klingt ebenfalls hochprofessionell und anspruchsvoll, obwohl sie mit einem deutlich geringeren Budget auskommt.

Was können die Songs des Albums?

Die Ähnlichkeit im Aufbau ist wenig überraschend, doch sie wirft auch Fragen auf. Wenn wir davon ausgehen, dass WINTERSUN „Time“ ursprünglich als achtzigminütigen Einteiler veröffentlicht hätten, wäre ein vierminütiges Intro wie „Fields Of Snow“ in der Albummitte deplatziert gewesen – insbesondere, weil es „When Time Fades Away“, dem Intro von „Time I“, sehr ähnelt. Wahrscheinlicher ist, dass Mastermind Mäenpää nach Teilung des Albums den Zweitling passend einleiten wollte.

Der erste richtige Track „The Way Of The Fire“ ist bekannt. Schon 2011 spielten WINTERSUN das Stück live und in unserer Erinnerung waren wir damals unglaublich gehypt. Die Nummern des Debüts sind und waren großartig, doch es gab nach sieben langen Jahren endlich neues Futter. Umso größer die Enttäuschung ein Jahr später, als der Song nicht auf „Time I“ landete, denn er bietet die Essenz der Band: Epische Anteile, fiese Double-Base-Brecher, verspielte Folkmelodien und ordentlich Gitarrengepose.

WINTERSUN lösen ihr Versprechen ein

„One With The Shadows“ ist mit seinen guten sechs Minuten im Albumkontext eine knackige Angelegenheit. Die getragene Nummer lässt sich am ehesten mit Klassikern des Debüts wie „Sleeping Stars“ oder „Death And The Healing“ vergleichen. Das schleppende Stück kommt mit einem großen Folkanteil und überwiegend Klargesang aus. Gegen Ende gipfelt der Track in einem epischen Finale mit tüchtig Pathos, bevor „Ominous Clouds“ uns den ersten Vorboten für den nächsten Longtrack liefert.

„Storm“ bricht über einen herein, wie der Name es andeutet und kommt erst nach ein paar Minuten furiosem Geballer zur Ruhe. Die eingestreuten Samples von Gewitter und Sturm tragen mächtig zur Atmosphäre bei und WINTERSUN demonstrieren ein weiteres Mal, dass sie die Spannung über zehn Minuten halten können. Die sprichwörtliche Ruhe nach dem Sturm haben sie in den letzten zwei Minuten vertont, die einem Zeit zum Durchatmen geben, bevor mit „Silver Leaves“ das Finale ansteht.

„Time II“ ist sehr gut, aber…

Auch „Silver Leaves“ zeigt keine Blöße und entführt uns abermals in die epische und ruhigere Seite WINTERSUNs. Das längste Stück von „Time II“ beendet eine Odyssee, die vor zwölf, streng genommen sogar 17 Jahren begann.

Es ist unheimlich schwierig, eine Wertung unter „Time II“ zu setzen. Auf der einen Seite ist die Entstehungsgeschichte der Platte ein schlechter Witz, denn es hat zu viel Zeit, Nerven und Energie gekostet, bis wir es hören konnten. Der Hype, den Jari Mäenpää um das Werk aufgebaut hat, hat die Erwartungen ins Unermessliche steigen lassen. Doch eine Wertung soll für die Musik, nicht für das Drumherum stehen und die Musik hat viele schlagkräftige Argumente. „Time II“ ist besser als seine erste Hälfte, klingt super fett und leistet sich so gut wie keine Schwäche. Einzig dem Debüt muss es sich geschlagen geben, denn diesen Klassikerstatus kann es trotz Ankündigung vor knapp zwei Dekaden nicht erreichen.

23.08.2024

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

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