White Stones - Memoria Viva

Review

Wurden die WHITE STONES angesichts ihrer ersten beiden Platten „Kuarahy“ und „Dancing Into Oblivion“ noch als Martin Mendez‘ Death Metal-Ausgleich zur mehr in Richtung Retro-Rock/-Metal gehenden, von den todesbleiernen Wurzeln weitestgehend entrückten OPETH beworben (womit die Band möglicherweise beim ein oder anderen Ohr aneckten, PR sei dank), so scheint der Pressetext zur neuen Platte „Memoria Viva“ deutlich vorsichtiger mit solchen Floskeln geworden zu sein. Und das ist auch gut so, denn auch wenn ausschließlich gutturale Vocals zum Einsatz kommen, ist „Memoria Viva“ ein facettenreiches, durchaus eklektisches Album geworden, bei dem Mendez und Co. deutlich offener zu ihren Wurzeln musizieren.

Die WHITE STONES zeigen mehr Selbstbewusstsein

Die Herren bauen dabei ihre eigentümlichen Trademarks weiter aus. Dazu gehören die weichgezeichnete Produktion, Einflüsse spanischer bzw. lateinamerikanischer Volksmusik und ein Songwriting, dass sich immer mal wieder an klassischer Prog-Eklektik bedient. Dass der Apfel nicht weit vom Åkerfeldt-Baum fällt, hat die Band nun also vollends akzeptiert und macht dies folgerichtig zur großen Stärke von „Memoria Viva“. Die deutlichsten Verweise auf die OPETHsche Riffmagie findet man vermutlich in den ansprechenden Arabesken von „Yemayá“ sowie der Hook von „Grito Al Silencio“, das überraschenderweise jedoch eher an spätere OPETH der Marke „Heritage“ denken lässt und weniger an die üblichen Referenzwerke.

Die konsistenten Kritikpunkte des geschätzten Vorredners Alex Santel bezüglich der beiden Vorgänger waren der für das Death Metal-Etikett unzureichend applizierte Druck – das hat sich nicht geändert – und der Mangel an Wagemut hinsichtlich der Progressivität, deren Grad als ausbaufähig befunden wurde. An letzterem scheinen die WHITE STONES am intensivsten gewerkelt zu haben. Denn das Songmaterial klingt vielschichtig, abwechslungsreich und ungezwungen, was sich trotz des gutturalen Gesangs zumeist wunderbar mit der weichen Produktion deckt. Diese wächst überdies in den instrumentalen Stücken, allen voran in „Zamba De Orun“ mit exzentrischem Ian Anderson-Gedenk-Geflöte, weit über sich hinaus.

Eine strukturelle Schwäche hat „Memoria Viva“ zwar …

Neben Tracks wie „Humanoides“ oder „La Ira“, die nach locker groovenden, angenehm technischen und nicht zu verkopften Death Metal mit eigentümlicher Atmoshäre klingen und in denen man das ausgefeilte Songwriting mit seinen butterweichen Übergängen genießen kann, findet sich mit „Vencedores Vencidos“ auch ein Stück, das fast wie eine Hommage an den finnischen Melodeath klingt. Die großen, groovenden Riffwände mit ihrer kraftvoll inszenierten Melancholie hätten vielleicht etwas mehr Distortion vertragen können, aber im Gesamten ist das doch sehr ansprechend ausgefallen. Damit einhergehend ist der eine Schwachpunkt der Platte vielleicht einfach nur von struktureller Natur, da auf neun Songs lediglich vier „reguläre“ Stücke kommen.

Das klingt jetzt schlimmer, als es ist, denn die Platte gefällt im Gesamten sehr und ist möglicherweise genau die Ausrichtung, nach der Mendez und Co. musikalisch gesucht haben. Man hat auf der Trackliste halt im wesentlichen vier Tracks, die dem Prog-Death-Vorbild folgen, während der Rest durch immerhin angenehm atmosphärische, verspielte und allemal interessante Instrumentals sowie dem angesprochenen Melodeath-Ausreißer gebildet wird. Trotz allem hat die Platte einen angenehmen Fluss, sodass hier gottseidank wenig ins Stocken gerät. Das hat sicher auch viel damit zu tun, dass die Band hier stilistisch einiges richtig gemacht hat und trotz ihrer Ehrlichkeit zu den OPETH-Genen doch etwas vollkommen eigenständiges aus den Zutaten geschaffen hat.

… dennoch stehen Mendez und Co. solide auf eigenen Beinen

Sie haben sich also einem großen, persistenten Kritikpunkt angenommen. Den klaren Gesang vermisst man tatsächlich gar nicht mal so sehr, da trotz der weichen Produktion viele der Melodien mit kleinen Dissonanzen und düsteren Klangtupfern versehen sind, was die übrigens erstmals komplett in spanisch vorgetragene Darbietung von Eloi Boucherie gut komplementiert. Und dass die WHITE STONES weiterhin eher defensiv mit dem Thema Druck umgehen, passt wiederum mit der enormen Verspieltheit hinter den hiesigen Klängen, was der Platte eine angenehme Luftigkeit verleiht. „Memoria Viva“ geht also schwerst in Ordnung und kann nicht nur als Appetithappen für die im Sommer anstehenden Shows von Mendez‘ Hauptbaustelle herhalten, sondern steht auch solide auf eigenen Beinen.

21.06.2024

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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