White Lilium - II: Chrysalis

‚Darf’s noch etwas mehr sein?‘ Bei der Auswahl der zu beackernden stilistischen Spielwiesen war das wohl die entscheidende Frage. Die junge Band hat jedenfalls alle Hände aufgemacht, und festgehalten haben sie u.a. bei melodischem Death Metal mit starker progressiver Einfärbung, dazu immer wieder Berührungen mit dem alternativen Rand. Damit ist nicht die Müsli-Ecke gemeint sondern eher melancholischer Alternative Rock, den WHITE LILIUM in ihren Songs manchmal streifen, was vor allem am sehr variablen Gesang von Fronter Jonas liegt. Der geht über Death-Metal-urwüchsiges Grunzen, fieses Geschrei und Gekrächze, Emo-Screamo (nur sehr leicht, aber aus dieser Ecke bezieht er sicherlich einige Inspirationen) und auch Einlagen mit klarem Gesang.

Ebenso abwechslungsfreudig präsentiert sich die Instrumentalfraktion, der man in Anbetracht des jungen Alters und ihres technischen Fortschritts deutlichen Respekt zollen kann. WHITE LILIUM sind keine Anfängerband mehr, die im Proberaum irgend etwas halbgares zusammen kleckern, sondern präsentieren sich auf ihrer zweiten EP mit reifen und durchdachten Songs. Die Meßlatte für den musikalischen Anspruch liegt für die Band wie auch den Hörer gleichermaßen hoch. Die Songs haben fast alle noch radiotaugliche Länge, ruhen sich aber nicht auf zwei Riffs und einem Refrain aus, sondern weisen teilweise sehr komplexe Strukturen auf, die aber trotzdem nicht das Gehör überfordern. Ganz unangestrengt kann man hier zuhören, wie die Band immer wieder neue Einfälle und Ideen in die Songs einstreut, und dabei auch die Instrumente in ihrer klanglichen Bandbreite voll ausnutzt. Nur ganz selten hört man kleinere Schnitzer heraus, und natürlich ist auch der Sänger noch nicht perfekt. Das vermag aber das durchgängig positive Bild der Band nicht schmälern, ebenso wenig wie der etwas dünne und blecherne Sound. Es kann sich sicher jeder vorstellen, dass eine Band in diesem Stadium noch nicht über das entsprechende Budget und Equipment verfügt.

„II: Chrysalis“ ist also ein solides Ausrufezeichen, mit dem die Band bei Veranstaltern und aufgeschlossenen Musikhörern hausieren gehen kann. Wer sie live erleben möchte, hat dazu demnächst beim lokalen Wettbewerb Emergenza in Hamburg Gelegenheit, wo WHITE LILIUM ihr Glück versuchen werden. Starke 6 Punkte!