Wheel (FI) - Resident Human

Review

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Fans des modernen Prog werden dieses Jahr aber auch verwöhnt. Neben den Schweden SOEN gaben sich jüngst auch die Franzosen LIZZARD die Ehre, im April erscheint (sofern nichts dazwischen kommt) endlich die neue GOJIRA-Platte. Und nun kommen auch WHEEL mit ihrem neuen Album „Resident Human“ angerollt, dem Nachfolger des gemeinhin gefeierten Full-Length-Debüts „Moving Backwards“, das den Verfasser dieser Zeilen seinerzeit noch ein bisschen enttäuscht zurückgelassen hat. Insgesamt fielen vor allem die rockenden Passagen noch etwas zu forciert aus, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Dafür hat der Einsatz von urtümlicher Percussion umso mehr gefallen.

WHEEL drehen mit „Resident Human“ auf

Trotz der etwas inkonsistenten Qualität des Vorgängers war unsereins doch gespannt darauf, was die Band mit ihrem neuen Album anstellen würde. Dieser neuen Platte liegt eine grobe, von den Hyperion-Gesängen von Dan Simmons inspirierte zentrale Thematik inne. Im Gegensatz zu ihren deutschen Namensvettern spielen die finnischen WHEEL um den britischen Wahlfinnen James Lascelles einen deutlich von TOOL inspirierten, modernen Prog Metal, wofür sich die Band nicht einmal schämt. Immerhin hatten sie zeitlebens des Vorgängers folgenden Satz auf ihrer Seite gepostet, der natürlich kraft des nun doch erschienenen TOOL-Albums etwas schlecht gealtert ist (und u. a. deshalb vermutlich wieder von der Seite verschwunden ist):

While we wait for that next Tool album, we thought we’d just make what we’d want to hear!

Nein, statt sich zu schämen machen sich die Finnen diese Einflüsse zu eigen und entwickeln sie auf ihre Art weiter. Sie stecken ihn in ein deutlich heavieres, rotzigeres Gewand hinein, das auf dem neuen Album sogar noch eine Nummer dreckiger herüberkommt. Das kommt nicht von ungefähr, denn analog zum Grunge haben die Herren hier mal die ein oder andere Fünf gerade sein lassen, sogar den Clicktrack ausgeschaltet, sodass die Platte etwas direkter herüberkommt. Auf „Resident Human“ fehlt allerdings auch jede Spur von der urtümlichen Percussion, die so sehr auf dem Vorgänger gefallen hat, was im ersten Moment noch etwas befremdet hat. Doch nach und nach stellt sich der erfreuliche Eindruck ein, dass die Band ihren Sound praktisch an allen Ecken verbessert hat.

Die Finnen haben ein geschicktes Händchen für Longtracks entwickelt

Der Opener „Dissipating“ ist mit seinen knapp zwölf Minuten schon mal ein ordentliches Statement in Sachen Selbstbewusstsein. Aus sanftem Beginn heraus baut sich der Song langsam aber sicher hin zum Finale auf und hält die Spannung sogar über die gesamte Spielzeit hindurch aufrecht. Sanft aufgetragene Gitarrentupfer und ein ziemlich subtiler 6/4-Takt sorgen von Beginn an für eine angenehme Hörbarkeit, während die Intensität des Songs langsam aber sicher erhöht wird, um stilvoll in den krachenden Schlussteil überzuleiten. Und auch Lascelles‘ Gesang hat sich durch die Bank weg verbessert. Er lässt zwar immer noch ein bisschen was an Expressivität missen, klingt aber schon deutlich souveräner als auf dem Vorgänger.

Analog gestaltet sich der ebenfalls überlange Track „Hyperion“ mit großem Fokus auf Dramaturgie, auch wenn dieser Track nicht ganz so lateral wie „Dissipating“ ausfällt. Zum einen hat der Track eine deutlich Hook-orientierte Struktur verpasst bekommen, zum anderen ereignet sich die große Eruption bereits im Mittelteil des Tracks. Auch der Titeltrack ist ein Schwergewicht in Sachen Spielzeit, die in den zweistelligen Minutenbereich hinein reicht, im Gegensatz zu den anderen beiden Longtracks aber deutlich impulsiver ausfällt. Direkt in der ersten Minute des Tracks begegnen einen schon kantige, schwer zupackende Riffs, die gnadenlos in die Nackengegend fahren. Auch im weiteren Verlauf gefallen diese Ausbrüche, die jedoch immer durch ruhige Parts sekundiert werden, während der klimaktische Schlussteil das Ding zu einem würdigen Ende bringt.

Doch auch kürzere Kracher mit brennender Relevanz stehen auf dem Programm

Unter den kürzeren Track sticht vor allem „Movement“ hervor, der bei weitem aggressivste Song der Platte und einer, der unmittelbar vom Mord [bzw. eher dem medialen Umgang damit, Nachtr. d. Red.] am Afroamerikaner George Floyd am 20 Mai 2020 durch den weißen Polizisten des Minneapolis Police Department Derek Chauvin und den dadurch verursachten Protesten der Black Lives Matter-Bewegung inspiriert, ja förmlich aufgerührt und buchstäblich bewegt (siehe Songtitel) wurde. Dazu findet Lascelles einfach die richtigen Worte, um den Frust und die Fassungslosigkeit, aber auch Anteilnahme und Entschlossenheit dahinter, diese Form von Hass nicht hinzunehmen, zum Ausdruck zu bringen mit Zeilen wie:

It’s time to mobilize […]
We know the price of silence

Das instrumentale, vom Klavier dominierte „Old Earth“ greift die ausklingenden Chords des vorangegangenen Titeltracks auf und bringt das Album beinahe kontemplativ, melancholisch sinnierend gar zu einem Ende, das noch einmal sämtliche, emotionale Knöpfe drückt. Mit „Resident Human“ zeigen WHEEL definitiv eine Besserung an praktisch allen Fronten. Die Fortentwicklung ist definitiv geglückt, die Falten von „Moving Backwards“ weitestgehend glattgebügelt. Und auch wenn unsereins die Percussion schmerzlich vermisst, so ist „Resident Human“ doch ein starkes Album geworden, das sich definitiv mehr als nur einen Schritt nach vorne bewegt hat – keinesfalls zurück, wie der Titel des Vorgängers vermuten ließ.

26.03.2021

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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2 Kommentare zu Wheel (FI) - Resident Human

  1. Watutinki sagt:

    Prog Rock ist normalerweise ja nicht so meine favorisierte Mucke, häufig verzocken sich Bands dieses Genres eher in selbstverliebter Frickelei die schnell langweilig wird. Wheel schaffen es aber, starke emotionale Tiefe mit einzubringen, gefühlvoll, technisch versiert, ein fast schon zu perfektes Wohlfühl Album, das mindestens die 8 Punkt verdient hat. Für Fans von Antimatter, denen Antimatter immer schon etwas zu seicht waren.

    8/10
  2. Vlad_the_Impala sagt:

    War das echt schon im März, als die beiden „WHEEL“-Bands und deren Veröffentlichungen dicht an dicht in den Metal.de Reviews auftauchten? Verrückt, wie die Zeit verrast. Naja, jedenfalls war mein Interesse geweckt.. 🙂
    „Resident Human“ der finnischen WHEEL gefällt mir insgesamt ziemlich gut. Klar, die musikalische Nähe zu TOOL oder SOEN ist unverkennbar. Hin und wieder gibt es Momente, da finde ich es eine Idee zu offensichtlich „bedient“, besonders beim Titeltrack. Hält sich aber für mich weitestgehend in Grenzen. Insgesamt finde ich es einen Tick „unausgereifter“ und weniger abgeklärt, aber dadurch auch irgendwie erfrischender. Hat so eine gewissse „Urgency“, die mich teilweise an frühe RIVERSIDE erinnert.
    Songwriting und instrumentelle Darbietung sind ja trotzdem sehr ansprechend, finde ich. 8/10

    8/10