Der Verfasser dieser Besprechung steht vor einem Rätsel. Wie zum Teufel soll man das Debüt-Vollzeitalbum „Vandalism“ der Hamburger VOLDT katalogisieren? Nicht, dass es für die Kreativköpfe hierhinter (oder im Zweifelsfall für die Leserschaft) wichtig wäre, aber es ist nun mal Teil dieser hiesigen Tätigkeit, ein Genre als Überkategorie auszuwählen. Was käme da in Frage? Progressive Rock/Metal? Punk? Post-Rock/-Metal? Modern Metal vielleicht? Irgendwie alles gute Kandidaten, die sich gleichermaßen qualifizieren, den Sound auf dem Papier aber auch wieder stark verallgemeinern. Aber für irgendetwas muss unsereins sich ja entscheiden. Und da „Vandalism“ als Gesamtwerk nun mal ziemlich einzigartig klingt, dürfen VOLDT damit die „Progressive Rock/Metal“-Überkategorie bevölkern.
Genregrenzen sind relativ – gerade für Bands wie VOLDT
Es fühlt sich nach wie vor nicht hundertprozentig richtig an. Denn Al Shirazi und seine Rasselbande setzen ein Zeichen gegen das Schubladendenken mit diesem Album, das beeindruckende Spieltechnik, atmosphärische Post-Rock-Ansätze, weitläufige, mitunter in schräge Sphären vordringende Gitarrenmelodien, eine gewisse (Post-)Punkigkeit und einen Sinn für Melodramatik zusammenführt. Das Ergebnis ist eine Trackliste, deren Songs vor Vielseitigkeit geradezu bersten und sich gar nicht so richtig in ein spezifisches Genre einordnen lassen, gleichzeitig aber doch sehr homogen in Szene gesetzt werden, als wäre es das selbstverständlichste der Welt. Diese Qualität haben die Hamburger zugegeben schon auf ihrer selbstbetitelten Demo sowie ihrer EP „Voken“ demonstriert, aber hier zeigt sich diese als vollkommen ausgereift.
Daher ist es vollkommen recht und billig, dass „Vandalism“ die Marschrichtung nur in Nuancen feinjustiert. Am handwerklichen Können des Trios, das sind neben Shirazi noch Wanja Gröger am Schlagzeug und Johannes Horas am Bass, bestand ebenfalls kaum Änderungsbedarf. Und doch hat Shirazi merklich an seiner Stimme gearbeitet und klingt heuer wie der böse, Schnurrbart zwirbelnde Zwillingsbruder von Matthew Bellamy, so gekonnt wie er seine Vibratos zum Einsatz bringt und so treffsicher seine Gesangsleistung ist, sowohl in den klaren als auch den angerauten Gesangslinien. Das boostet natürlich das Selbstbewusstsein ungemein, was zu einer ungeheuer vielseitigen und exzentrischen Gesangsdarbietung führt, die auch gar nicht mal so sehr auf Gutturales setzt. Obendrauf kommen des Öfteren wortlose Backing Vocals zum Einsatz, die für das gewisse Extra an Stimmung sorgen.
Die Hamburger wirbeln mit „Vandalism“ nicht nur Staub umher
Erfreulich bleibt wie erwähnt weiterhin das unglaublich hohe, spielerische Niveau, das hier an den Tag gelegt wird. Shirazis Gitarre steht natürlich im Vordergrund, doch Horas hält gut mit. Die Gitarre klingt gar nicht mal so schwer verzerrt und doch steckt eine enorme Heaviness in „Vandalism“, was sicherlich auch Horas‘ Verdienst ist. Und wenn er nicht gerade doppelt, liefert er wunderbare Basslinien wie etwa im Polka-Part von „The Great Command“. Hier leistet zudem die Produktion von Fabian Großberg wahrhaftig ganze Arbeit, die „Vandalism“ richtig mächtig klingen lässt. Das wuselige Geschehen der Saitenfraktion wird schließlich von Gröger rhythmisch wunderbar eingefasst, der ein paar stramme Grooves raushaut und wunderbar songdienlich spielt.
Musikalisch werden wie angedeutet komplementäre Genreversatzstücke umhergewirbelt und in einen treibenden Rock-Sound gestopft. Es ist ein bisschen so als hätten sich GRAVE PLEASURES aufgemacht, um die neueren MASTODON zu covern, hätten dann aber mittendrin eine Runde Koks mit Mike Patton gezogen, was die Pläne daraufhin komplett über den Haufen geworfen und „Vandalism“ letztlich zu seiner jetzigen, auf dem Papier sehr widersprüchlichen Form verholfen hat. Sprich: Es klingt irgendwie nach Garage und irgendwie nach hoher Kunst, irgendwie locker und irgendwie heavy, irgendwie spontan und irgendwie durchdacht, irgendwie nach Rock und irgendwie nach Metal. Diese durchaus gegensätzlichen Eigenschaften lassen sich mindestens anteilig in fast jedem Song der Trackliste nachweisen, was die Homogenität von „Vandalism“ umso beeindruckender macht.
Die hohe Kunst aus der Garage?
Das bedeutet natürlich auch, dass VOLDT keine bunte Geschmacksdetonation der Marke IGORRR servieren. Das Stichwort bleibt „Homogenität“, entsprechend wohnt „Vandalism“ auch eine rohe Rockigkeit inne. Die Songs kommen allesamt erdig daher, bleiben bei aller Technik und bei allen stilistischen Abzweigungen zugänglich und brillieren durch eine stringente Strukturierung. Jede einzelne Wendung ergibt im Kontext des Songs Sinn, weil sie entweder die Energie des jeweiligen Stückes aufrecht erhält oder teilweise sogar innerhalb des Songs angedeutet wird. „Headless Haunting Hound“ ist ein schönes Beispiel dafür, das als leicht angeschrägter Rocker beginnt, mittendrin dann die Post-Black-artige Klimax kurz anreist, nur um sie im weiteren Verlauf dann erneut aufzugreifen und in voller Pracht erstrahlen und mit ebenso voller Wucht einschlagen zu lassen.
Und die Intensität der Stücke variiert auch, sodass „Monsters Of The Sea“ beispielsweise diese straffen Midtempo-Grooves mit Doublebass-Getacker sein eigen nennt, die ein bisschen was von OPETH zu „Deliverance“-Zeiten hat, wobei diese Assoziation sicherlich auch ein Stück weit durch das markante Riffing geschaffen wird. „Teachings“ geht dagegen mit feistem Thrash in die Vollen und hat aufgrund der wiederum sehr eigenwilligen Melodieführung etwas von VOIVOD. Doch irgendwie wandert der Track zur Hook dank leichter Anklänge von klassischen Harmonien dann fast schon in Power-Metal-Territorium ab. Und obendrauf stopfen VOLDT da noch eine krachende, Post-Metal-artige Eruption in den Track rein. Ebenfalls sei hier auch wieder der geniale Einsatz der Backing Vocals erwähnt.
VOLDT legen eine Punktlandung hin
Was hätte die Platte noch besser machen können? Nicht viel eigentlich, vielleicht nur noch ein paar mehr Einsätze von diesen Hintergrundgesängen, die einige Refrains wie den von „Servant“ noch größer als ohnehin schon hätten wirken lassen. Aber ansonsten ist „Vandalism“ praktisch alles, was man sich nach der Demo und der EP von VOLDT gewünscht haben könnte. Es ist ein wahnsinnig breit aufgestelltes Rock-Album, das dennoch stringent durchgezockt klingt. Die Herren lassen ihren Sound über eine ganze Menge an Genregrenzen transzendieren, liefern aber ein konsistent klingendes Album ab, das an keiner Stelle wie zusammen getackert wirkt. Und man vermisst Synthesizer und dergleichen gar nicht mal so sehr, aber derlei Effekthascherei hätte vermutlich unnötigerweise gegen die Gediegenheit des Dargebotenen gearbeitet.
Kurzum: Die Hamburger haben mit ihrem Debüt nahezu alles richtig gemacht. Und angesichts der nun doch endlich (hoffentlich nicht wieder nur vorübergehend) angebrochenen Live-Saison darf man VOLDT auch live erleben und in Person zu „Vandalism“ gratulieren.
Die sind ja mal so richtig geil! Hoffentlich haben die ne Bandcamp Präsenz.
Haben sie. 🙂
https://voldt.bandcamp.com/album/vandalism
Danke Michael!