Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.
„Exposed“ – entblößt. So fühlt sich VINCE NEIL 1993, als er nach seinem Rauswurf bei MÖTLEY CRÜE seine erste Soloplatte aufnimmt und die Zügel selbst in der Hand hält. Einen besseren Titel hätte er für das Album also kaum wählen können. Vor einem großen Problem steht er allerdings: Er war noch nie wirklich als Songwriter tätig und kann auch kein Instrument spielen. Um dem entgegen zu wirken scharrt VINCE NEIL eine Reihe talentierter Musiker um sich.
„Exposed“ ist eine disziplinierte Teamarbeit
Da wäre als erstes Phil Soussan, der ex-Bassist von OZZY OSBOURNE und BILLY IDOL, der einen Großteil des Songwritings stemmt. Die zweite und wichtigste musikalische Stützte für VINCE NEIL ist aber BILLY IDOL-Gitarrist Steve Stevens. Er ist nicht nur an über der Hälfte aller Songs als Komponist beteiligt, sondern spielt alle Gitarren- und Bassspuren für „Exposed“ im Alleingang ein. Auf dem Produzentenposten macht es sich Ron Nevison bequem. Durch seine Arbeit mit OZZY OSBOURNE und der MICHAEL SCHENKER GROUP ist er große Egos gewöhnt und genau der richtige Mann, um VINCE NEIL im Studio auf Kurs zu halten.
VINCE NEIL bekommt ein Album nach Maß
Vor den Albumaufnahmen erscheint bereits die Single „You’re Invited (But Your Friend Can’t Come)“ als Soundtrack zum Film „Encino Man“ mit Brendan Fraser, der in Deutschland als „Steinzeit Junior“ läuft. Die schmissige Uptempo-Nummer überzeugt durch ein klassischen Hard-Rock-Gitarrenriff und einen immens griffigen Refrain. Damit gibt VINCE NEIL den Kurs für „Exposed“ ziemlich genau vor: Klassischer Hard Rock mit Glam-Einschlag. Die Platte steht somit ganz in der Tradition seines ehemaligen Brötchengebers MÖTLEY CRÜE. Dabei macht das virtuose Gitarrenspiel von Steve Stevens den entscheidenden Unterschied. Mick Mars in allen Ehren, doch mit der Vielseitigkeit von Stevens kann der MÖTLEY-Gitarrist einfach nicht mithalten. Egal ob vom Flamenco beeinflusste Akustikpassagen („The Edge“), knallharte Metalriffs („Look In Her Eyes“) oder Groove-Monster („Living Is A Luxury“) – Steve Stevens beherrscht jede Gitarrendisziplin aus dem Effeff und liefert VINCE NEIL reihenweise Songs, die maßgeschneidert für seine Stimme sind.
Der unvermeidliche Kitschfaktor
Da er erstmals in seiner Karriere die kreative Kontrolle hat, lässt es NEIL sich aber auch nicht nehmen, seinen großen Vorbildern zu huldigen. „Set Me Free“ von THE SWEET wird in den Händen von Steve Stevens allerdings zum einem Heavy-Metal-Kracher, der sich gewaschen hat. Ein Cover mit absolut eigener Note, so soll es sein! Dass die Produktion von „Exposed“ angemessen druckvoll geraten ist, sei der Form halber an dieser Stelle erwähnt, aber leider hat die Platte auch zwei nicht zu verachtende Schwachpunkte. Wie schon bei MÖTLEY CRÜE sind die Balladen nämlich arg kitschig geraten. Bei „Can’t Change Me“ können ein paar coole Gitarrenleads noch darüber hinwegtrösten, doch das abschließende „Forever“ lädt eher dazu ein, das Album vorzeitig aus dem Player zu entfernen.
Ein Muss für Fans
„Exposed“ beweist VINCE NEILs gutes Händchen bei der Wahl seiner Mi(e)tmusiker. Die Songs seines Solodebüts sind das Ergebnis von disziplinierter Teamarbeit aller beteiligten, bei der das Ego des Einzelnen zurückstehen muss. Herauskommt eine Sammlung knackiger und abwechslungsreicher Hard-Rock-Songs, die jedem Genre-Fan ein Grinsen ins Gesicht zaubern werden. Das Album wird ein formidabler Erfolg. An die großen Tage von MÖTLEY CRÜE kann VINCE NEIL mit der Platte allerdings nicht anschließen. Der Nachfolger „Carved In Stone“ verzettelt sich wiederum in Industrial-Experimenten. Dieser kolossale Flopp beendet VINCE NEILs Solokarriere bevor sie richtig ins Rollen kommt. Bereits 1997 kehrt er zu MÖTLEY CRÜE zurück, um an alte Glanzzeiten anzuschließen.
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