Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.
Im Jahr des Verfassens dieser Zeilen – noch haben wir 2023 – haben die Akustik-Folk-Haudegen VERSENGOLD ihr neues Album „Lautes Gedenken“ veröffentlicht, das praktisch genau da weiter macht, wo die Vorgänger aufgehört haben. Das Album fand bei uns keine rezensierende Erwähnung, aber das ist meiner unmaßgeblichen Meinung irgendwie auch nicht nötig gewesen, da man als Kenner der Vorgänger „Nordlicht“ und „Was kost die Welt“ über dessen musikalischen Gehalt gut im Bilde ist. Das bedeutet für Freunde der früheren Spielart der Bremer, dass die Band auch diesmal nicht von ihrem modernen Stil abgewichen sind. Ich möchte Malte Hoyer und seinen Mitstreitern weißgott nicht ihre Live-Qualitäten absprechen – die lassen unsereins als Kritiker der neuen Ausrichtung weiterhin nicht kalt. Aber dieser nah an SANTIANO gebaute Sound ist ganz klar auf eine breitere Masse zugeschneidert.
Der Gipfel der VERSENGOLD-Hochphase?
Das war natürlich nicht immer so – und wie sehr VERSENGOLD hier meines Erachtens unter ihren Möglichkeiten bleiben, merkt man, wenn man sich die vergangenen Veröffentlichungen der Band zu Gemüte führt. In ihren frühen Tagen, speziell als die Band vom Lineup und ihrer Selbstdarstellung her noch ganz anders ausgesehen hat, waren die Bremer ja noch unter Pseudonymen unterwegs und Hoyer, damals als Snorre Snoerkelfrey bekannt, wurde zu Zeiten von Alben wie „Allgebraeu“ noch von Carolin Fährmann alias Sirkka von Ungefaehr sekundiert. Weiland war die Band noch weit entfernt von dem stärker an Irish Folk angelehnten, modernen Sound, sondern eine ziemlich reinrassige Mittelalter-Folk-Band mit ratternder Perkussion statt krachendem Schlagzeug. Das setzte sich im Grunde auch nach dem personellen Umbruch um die Veröffentlichung vom Drittalbum „Ketzerey“ herum fort, was ein erster Hinweis auf die Beharrlichkeit der Formation darstellen sollte, denn manch andere Band würde nach einem derartigen Zusammenbruch des Bandgefüges das Handtuch werfen.
Doch stattdessen erlebten die Bremer hiernach eine kreative Hochphase und veröffentlichten ihre vielleicht drei besten Werke, die beiden Mini(?)-Alben „Dreck am Stecken“ und „Auf in den Wind“ sowie das hier zu besprechende „Im Namen des Folkes“, das vielleicht wirklich beste Album der Herren, in den sie einen Live-Klassiker an den anderen reihen. Die Vergangenheit als Mittelaler-Band schwebt hier vornehmlich noch im lyrischen Kern umher. Doch die Texte bleiben trotz ihrer gerne in der romantisierten Version des Mittelalters geerdeten Natur unpeinlich und zeitlos – ein Markenzeichen Hoyers Dichtkunst – und überdies gar nicht mal so familienfreundlich wie auf neueren Alben. Gleiches gilt für die Folk-Handwerk hierhinter, das wie erwähnt weniger von der Mittelalter-Kante früher Tage mitnimmt und schon mehr in eine modernere Richtung geht, sich aber weise vor sämtlichen Schlagerreferenzen hütet und durch seine interessante, perkussive Rhythmik und pointierten Melodien gefällt. Auch hier beansprucht „Im Namen des Folkes“ eine gewisse Zeitlosigkeit für sich.
„Doch als echter Spielmann, als echter Trunkenbold …“
Direkt die eröffnenden Töne des Titeltracks etablieren, was für eine Art Album hier vorliegt. Der Folk ist verspielt und hat durch die Perkussion einen geschäftigen, geradezu galoppierenden Drive, der sich so durch ein rudimentäres Schlagzeug kaum imitieren lässt. Es geht in Mark und Bein, fordert zur körperlichen Aktivierung auf und wirkt zugleich wie ein Spielmanns-Credo der Band, das angesichts der musikalischen Höchstleistungen u. a. von Florian Janoske alias Honza Sturmgemuet umso glaubhafter unterstrichen wird. Der Refrain bringt es auf den Punkt:
Im Namen des Folkes
Ham wir uns verschworen
Im Namen des Folkes
Ist all das passiert
Im Namen des Folkes
Gibt’s jetzt auf die Ohren
Im Namen des Folkes
Wird hier musiziert
Im Namen des Folk!
Die Harmonien sind sehr filigran und stimmungsvoll in Szene gesetzt, was die musizierenden Einzelleistungen umso mehr ins Rampenlicht rückt und das Endergebnis sensationell dynamisch gestaltet. Dieses Feingefühl gipfelt in der Ballade „Vom Zauber des Wildfräuleins“, die einfach nur angenehmst aus den Boxen perlt. Es gibt natürlich druckvollere Momente wie der Mitgröl-Klassiker „Drey Weyber“, doch selbst hier hat man das charmante Bildnis von fahrenden Musikanten vor den Augen. Und wieder ist es die geschäftige Perkussion, die das Ganze nicht nur angenehm luftig halten, sondern auch mit einer pointierten, peppigen Rhythmik versieht. An anderer Stelle wie in „Punsch statt Putsch“ gelingt es den Bremern, einen angemessen feste aufstampfenden Rhythmus heraufzubeschwören.
Doch eines der Aushängeschilder von VERSENGOLD ist natürlich Hoyers Lyrik, die hier natürlich weiterhin ihresgleichen im Bereich der zeitgenössischen, deutschsprachigen Musik sucht. Lyrisch kann man einige Parallelen zu Liedermachern der Marke Reinhard Mey machen, wobei die Materie natürlich eine ganz andere ist. Doch es ist die gleiche Art von Dichtkunst und die gleiche Art von Strukturierung, nicht im radiotauglichen Sinne auf zwei Strophen festgefahren, sondern immer genau so lang, wie es eben braucht, um die jeweilige Geschichte zu erzählen. Da ebbt die Musik natürlich mit auf und ab, etwas das man auf „Immer schön nach unten treten“ in Perfektion erleben kann. Der Text ist im Grunde ein einzige roter Hering, aber das kommt eben erst am Ende hervor und wird von Hoyer spitzbübisch und elegant zwischen den Zeilen versteckt. Und sobald man als Hörer diese Entdeckung gemacht hat, bekommt der Song gleich umso mehr Charme.
„… zahlt‘ ich, ja, zahlt‘ ich mit VERSENGOLD!“
Im Grunde kann unsereins einfach so weiter schwärmen vom überragenden Liedgut hierhinter, von der sagenhaften Textarbeit, die es immer wieder auf charmante Weise schafft, mit vermeintlich antiquierten Metaphern humorvolle oder auch ernsthaftere Bezüge ins Hier und Jetzt zu ziehen, und wie viel Spaß es einfach macht, diesen Spielmännern beim ausgelassenen Musizieren zuzuhören – ganz groß sind hier auch die drei Instrumentals „Ablasstanz“, „Honzas Jig“ und „Sturmtanz“. Über zehn Jahre nach seiner Veröffentlichung hat „Im Namen des Folkes“ jedenfalls nichts von seiner Größe eingebüßt, sondern ist eher wie ein guter Wein gealtert, den sich die Spielmänner weiland zweifelsohne einverleibt haben. Und jedes neue Album der Bremer erinnert unsereins nur einmal mehr daran, wie gut dieses Album hier gewesen ist. Ich möchte an dieser Stelle natürlich niemandem Vorschiften machen – am allerwenigsten VERSENGOLD selbst, die letztlich ihrem eigenen Pfad folgen und sich ihrer jetzige Position mehr als verdient haben. Ich möchte einfach nur daran erinnern, wie gut, nein: exzellent „Im Namen des Folkes“ doch war.
Ja, zu der Zeit konnten VERSENGOLD noch was, im Gegensatz zu dem heutigen Schrott, der mit Grausen an erwähnte SANTIANO der gar TOTEN HOSEN erinnert. *kotz*
Pfiffige Texte und schmissiger Folk, die bei mir zwar keine 10 Punkte sind, aber 8,5.
Jo, das hat im Vergleich zu den neueren Sachen Charme. Schon wieder diese „früher war alles besser“ Attitüde, aber was soll ich machen. ;))
Früher war nicht alles besser, aber einige Sachen halt schon. So lange Musiker sich noch beweisen wollen und das Ganze noch kein Geschäft ist, klingt die Musik halt authentischer, charmanter, eigenwilligen, individueller, einfach persönlicher und für mich dadurch besser.
Man kann höchstens darüber streiten, wann das zutrifft, aber grundsätzlich hast du mit deinem letzten Absatz völlig recht.