Undeath - More Insane

Review

2020 war schon ein ziemlich komisches Jahr, rückblickend betrachtet. Wir alle erinnern uns an Einschränkungen, Lockdowns und – spezifisch auf das Musikbusiness bezogen – die Einstellung des Konzertbetriebes und damit einhergehend Existenzängste der Musiker und all jener, die ihren Lebensunterhalt mit Konzertveranstaltungen verdient haben. Diese doch sehr absonderliche Zeit hat aber im Umkehrschluss bei vielen Künstlern die heimische Kreativität befeuert und einige wunderbare Veröffentlichungen ans Tageslicht gebracht. Eine der positiveren Erscheinungen darunter war das Vollzeitdebüt „Lesions Of A Different Kind“ der New Yorker Todesblei-Formation UNDEATH, die es schafften, mit einer Handvoll Demos 2019 einen riesigen Hype zu erzeugen.

UNDEATH erheben sich wieder aus der Gruft

Und all das schien gerechtfertigt angesichts eines Debüts, das sich weniger auf eine gewisse Sparte eingeschossen hat, sondern einfach in seiner Gesamtheit so sehr nach feinstem Leichengeschubse aus den Neunzigern klingt mit einer Mischung aus technisch durchaus versiertem Brutal Death, fetten Old School-Grooves und einigen leckeren Slam-Gemeinheiten, dass mittlerweile massive Erwartungen auf den Schultern der Jungs lasten, als wären sie schon seit Ewigkeiten da. Und so folgte anno 2022 ein ziemlich forscher, offensiverer Zweitling namens „It’s Time … To Rise From The Grave“, über dessen Qualität man sich – wie üblich bei derart gehypten Bands – schon eher bis aufs Blut gezankt hat in den Foren des Netzes.

Nun erscheint – wiederum zwei Jahre später – der dritte Streich in Form von „More Insane“ und nimmt bei unveränderter Besetzung wieder Feinjustierungen vor. Zog „It’s Time … To Rise From The Grave“ den Sound der New Yorker ein kleines Stück aus dem Zeitalter der Höhlenmenschen hervor, so vollführen UNDEATH auf „More Insane“ einen großen Schritt weiter in Richtung Moderne. Das beginnt beim Gesang: Alexander Jones‘ Vocals klingen nicht mehr so abgrundtief guttural gegrowlt und etwas mehr gebrüllt. Vielleicht hat das auch ein bisschen mit der Produktion zu tun, an der u. a. Matt Lewis mitgearbeitet hat. Der hatte schon für CANNIBAL CORPSE und THE BLACK DAHLIA MURDER an den Reglern gesessen. Lustig, dass die Presseinfo mir ausgerechnet genau diese beiden Namen in den Mund legt, denn die kommen beim Genuss von „More Insane“ immer wieder in den Sinn.

Die New Yorker stoßen auf „More Insane“ noch weiter in Richtung Moderne vor

Zugegeben, CANNIBAL CORPSE waren klanglich schon immer ein steter Begleiter der US-Amerikaner, doch die Inkorporation der zackigeren Melodeath-Biester á la THE BLACK DAHLIA MURDER ist zumindest in der Größenordnung, wie sie auf „More Insane“ zu finden ist, neu. Anzeichen dessen konnte man schon auf dem munter drauf los säbelnden Vorab-Track „Brandish The Blade“ in Aktion erleben, aber wo die Band so richtig viel Spaß damit hat, ist auf „Sutured For War“, das teilweise Erinnerungen an die „Miasma“-Ära wachwerden lässt. Entsprechend klingt auch die Produktion längst nicht mehr nach Gruft und deutlich schnittiger, schärfer und kantiger. Dadurch kommen die prägnanten Gitarrenlicks gleich viel besser zur Geltung – und Death-Metal-Alben, in denen der Bass klar und deutlich zu hören ist, sind sowieso immer grundsympathisch.

Was sich dagegen gar nicht geändert hat, ist das nach wie vor herrlich volatile, unvorhersehbare Songwriting, das man einmal mehr mit einer Leiche vergleichen kann, die munter die Treppe runter kullert. Mit der neuen Produktion haben UNDEATH die Mumie natürlich piekfein im Zwirn rausgeputzt, aber es groovt wie sau, es drückt noch todesbleiern in die Visage und es fährt entsprechend konsequent in die Nackengegend, während sporadische Hakenschläge dafür sorgen, dass es nie langweilig wird. Es gibt sogar ein paar echt markige Hooks zu bewundern; die prägnanteste davon dürfte „Bounty Hunter“ enthalten und scheint geradezu prädestiniert, auf Festivals mitgegrölt zu werden.

Und doch bleiben sie ihren Neunziger-Einflüssen treu

Die Band klingt nicht einfach wie ein Amalgam der Neunziger, nein: Sie hat hörbar den Spaß ihres Lebens dabei, sich die Rosinen aus der frühen Blütephase des Genres rauszupicken und daraus knackige, zeitgemäß klingende Songs mit Ecken, Kanten, Winkeln und Verschlingungen zu basteln, die trotz allem direkt ins Mark gehen und unsereinem eine geradezu diebische Freude bereiten. Dass die Gruft einem klareren Sound gewichen ist, kann man vielleicht als kleinen Verrat ansehen, wenn man möchte. Andererseits ist die Entscheidung für mehr moderne Klarheit angesichts der nicht unbedeutenden Feinjustierung des Sounds in Richtung agilerer Melodik nachvollziehbar.

„More Insane“ klingt glücklicherweise bei aller Schnittigkeit immer noch angemessen aggressiv und druckvoll, was die ultrafetten Grooves eines „Bounty Hunter“ oder „Bones Clattering In The Cave“ (Songtitel des Jahres?) unmissverständlich beweisen. Irgendwie fühlt sich der letztgenannte, als Rausschmeißer fungierende Song zugegeben nicht so richtig wie ein Abschlusstrack an und man hat das Gefühl, dass die Band die Kunst der Albumbeschließung noch ein bisschen studieren muss. Aber das Songmaterial per se geht auf „More Insane“ schon gelinde gesagt schwer in Ordnung. UNDEATH liefern also wieder. Die Nörgler werden wahrscheinlich auch diesmal nicht vermeidbar sein (angesichts des Sounds vielleicht erst recht nicht), aber die Band scheint davon vollkommen unbeeindruckt ihren eigenen Weg zu gehen. Richtig so.

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01.10.2024

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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1 Kommentar zu Undeath - More Insane

  1. destrukt. sagt:

    Inhaltlich gibts dem Review nix hinzuzufügen! Sehr schön! Wirklich überraschend, wie leicht es Undeath gelingt diesen unwiderstehlichen Groove von Blood Red Thrones „Come Death“ oder „Souls Of Damnation“ mit diesen Killer-TBDM/Xoth Leads zu kombinieren und trotz der klar erkenntlichen Zitate irgendwie was eigenes zu kreiieren. Sicherlich mit eine der überraschendsten und zeitgleich gelungensten Weiterentwicklungen dieses Jahr aus dem US-Untergrund. 7,5

    7/10