Ulver - ATGCLVLSSCAP

Review

„RADIOHEAD haben noch nie eine schlechte Review bekommen. Selbst wenn Thom Yorke in eine Glühbirne scheißen und darauf wie auf einer Bierflasche blasen würde, würden sie dafür noch 9/10 Punkten bekommen.“

Erst kürzlich bereicherte uns Ex-OASIS-Chef Noel Gallagher mit diesem herzerweichenden Statement zum Thema „tiefgründige Musik“ – und sprach damit viel Wahres aus. Denn auch angesichts der jüngsten ULVER-Veröffentlichung „ATGCLVLSSCAP“ dürfte selbst bei eingefleischten Fans ein kurzes Stirnrunzeln nicht ausbleiben. Ein Livealbum? Ein Studiowerk? Eine Improshow? Eine blanke Reproduktion? Mitnichten.

Zwölf Städte, zwölf Konzerte, zwölf Titel.

Reminiszenzen an die eigene Diskografie enthält „ATGCLVLSSCAP“ eher wenige. Denn wenngleich die Live-Sets im Februar 2014 hier und da mit mal offensichtlicheren („Moody Stix“), mal vermummten („Ecclesiastes“) Fragmenten früherer Studioaufnahmen gespickt sind, fußt die Suche nach dem inneren Wolf hier weitestgehend auf improvisatorischen Elementen. Die Nachwirkungen der 2014er-Kollaboration mit den Drone-Meistern SUNN O))) stecken ULVER dabei noch hörbar in den Knochen („The Spirits That Lend Strength Are Invisible“, „D-Day Drone“). Doch im Gegensatz zu zahlreichen Genre-Kollegen loten sie die Grenzen endlos ausufernder Soundscapes mit äußerster Behutsamkeit aus. Denn hier agieren ULVER beim Entstehen neuen Materials erstmals als vollständige Liveband. Heißt: Erweiterte Bandbesetzung und ab auf die Bühne.

Wem der Einstieg Daniel O’Sullivans (GUAPO, ÆTHENOR) und dessen Einfluss auf „Wars Of The Roses“ im Jahr 2011 bereits gehörige Bauchschmerzen bereitete, dürfte sich auch hier wieder an den Außengrenzen seiner Toleranz angekommen sehen. Mit E-Bass und waffenfähigem Effektboard im Gepäck dominiert der britische Multiinstrumentalist beachtliche Teile des auf 80 Minuten gekürzten Sets. In vorbildlicher Symbiose mit Rhythmus-Doppelpack Anders Møller (Percussion) und Ivar Thormodsæter (Drums) inszeniert O’Sullivan in „Cromagnosis“ und „Om Hanumate Namah“ psychedlische, gar krautrockartige Klangflächen, deren Analog-Groove in 20 Jahren ULVER bisher ungehört blieb. Ist das jetzt noch Ambient?

Nicht wirklich, denn statt einer Zeitreise durch die eigene Diskografie scheinen die Norweger streckenweise gar die Evolution der deutschen Musikgeschichte abzudecken. Sich vom Krautrock entfernend, bewegt sich das unförmige Etwas namens „ATGCLVLSSCAP“ plötzlich weiter in die Siebziger hinein, um die dort aufkommende Elektronikwelle zu erforschen. Mit dem dystopischen Synthesizer-Mantra „Desert/Dawn“ zollen ULVER dabei den auf ewig mit dieser Ära verknüpften Namen wie KRAFTWERK, KLAUS SCHULZE oder TANGERINE DREAM Respekt. Und als würden sie die jammernden Rufe unergiebiger „Shadows Of The Sun„-Fans vernehmen, präsentieren sie am Ende dieser nicht immer beseelten Reise den seit jener Platte wohl emotional beklemmendsten Titel. „Ecclesiastes (A Vernal Catnap)“ verbindet Bibelverse des gleichnamigen Buchs Kohelet mit dem ausleitenden Pianomotiv aus „Tomorrow Never Knows“ („Perdition City„, 2000) – verhüllte Magie für Diskografie-Kenner, sozusagen. Müßig zu erwähnen, dass Rygg seine oktavensprengende Stimmleistung auch im Livekontext mühelos abruft. Auf dem Höhepunkt des Albums verbindet sich sein Klagegesang mit monotoner Percussion- und Klavierarbeit zur natürlichsten Form musikalischer Huldigung: Zum reinen, ergebenen Gebet.

Krautig, verstörend, trostlos, funky, langweilig, aufwühlend. „ATGCLVLSSCAP“ braucht Durchläufe. Viele Durchläufe. Denn „ATGCLVLSSCAP“ nährt sich aus Dunkelheit, Leere und gedanklicher Isolation. Genau deshalb ist „ATGCLVLSSCAP“ sicherlich nicht für jeden das große Ganze. Aber das sind RADIOHEAD ja schließlich auch nicht.

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28.01.2016

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