Tool - 10.000 Days

Review

Nichts wirkt sich für ein Review positiver aus, als eine angenehme, ruhige Umgebung, ein angemessenes Abspielsystem und gute Luft.
Dieses TOOL-Review müsste eigentlich ein totaler Verriss werden, sitze ich doch in einem vollgestopften Raucherabteil der Deutschen Bahn zwischen zeternden, tratschenden und kettenrauchenden alten „Damen“. Mein Abspielsystem besteht aus einem nagelneu beim Discounter PLUS erworbenen MP3-Player mit Plastik-Ohrstöpsel-Kopfhörern und ohne jede Möglichkeit der Basswiedergabe. Sei’s drum.
TOOL haben sich Zeit gelassen, bis sie die Welt nach „Lateralus“ endlich mit 10.000 Days beglückten. Und sie beglücken wahrhaft. Schon mit dem Coverartwork verzücken sie des Käufers Herz. Im Booklet wird Schluss gemacht mit biederem 2-D. Eine eingebaute 3-D-Brille eröffnet neue Dimensionen und sieht, nebenbei bemerkt, auch gut als Stand-Alone-Brille aus (“Da machst Du große Augen“). Ohne Zweifel, eine innovative Idee!
Eine jener „Damen“ bläkt soeben durch das Abteil, „wie es denn mit der Vögelei wäre“. Ich versenke meinen Kopf im Schreibblock und hoffe, dass ich damit nicht gemeint bin. Minutenlanges hysterisches Lachen…
Gut, nun zur Musik. Schon bei den ersten Hördurchgängen zeigen sich so einige Parallelen zu den Vorgängeralben auf. „10.000 Days“ erscheint wie eine perfekte Mischung aus „Aenema“ und „Lateralus“. Trotz Toolscher Kälte rocken die Songs. Das Bein wippt und der Kopf kann gar nicht anders, als mitzunicken. Typisch, es groovt an allen Ecken und Kanten. Punktierte Stakkato-Riffs schneiden sich durch die Luft. Subtil auf den Ausbruch wartend, zieht sich die Stimme sanft um die Rhythmen, nur unterbrochen vom Gebrabbel der Damen, die aber ein Herz mit mir haben und in Bitterfeld aussteigen. Gott segne ihr Mundwerk. Das Album klingt spontan und locker. Schon irgendwie mehr nach Proberaum und Band, als nach Studio und Projekt. Die Jungs sollen sich wohl auch für eine ziemlich lange Zeit zusammen eingeschlossen haben, um in endlosen Sessions das Material für’s Album zu erspielen. Dass sie ihr Session-Material dann noch mal in einem fetten Studio aufgenommen haben, versteht sich von selbst und ist hörbar. Dem Tontechniker tropft der Zahn bei dieser Produktion. Die Drums klingen frisch und knackig, die Toms blasen den Ohrenschmalz breitbandig ins Gehirn zurück. Der Bass hat eine Wucht und Energie, ohne auch nur ansatzweise diese ästhetisch kalten Rhythmusgitarren zu verdecken. Alles tönt so wunderbar entrückt, alles so experimentell verspielt obwohl einige Passagen in ihrer Machart doch sehr vertraut erscheinen. TOOL bleiben TOOL. Sie haben sich irgendwann selbst erfunden und brauchen dies nicht jedes Mal neu zu versuchen. Sie befriedigen jeden Fan zu 100 Prozent, sie bringen die lieb gewonnenen Betonungen auf der ersten und der vierten Achtel und wissen, wie man Emotion und Atmosphäre zu Musik werden lässt.
Mittlerweile macht sich in meinen Ohren ein leichtes Fiepen bemerkbar. Ich hätte den fehlenden Klang meiner PLUS-Kopfhörer nicht durch Lautstärke kompensieren sollen. Gut, dass ich meine Aussagen bezüglich des Sounds auf professionelleren Abhören verifiziert habe. Am nächsten Bahnhof muss ich umsteigen. Eine gute Gelegenheit, um mir in Ruhe zu überlegen, ob ich 10 oder 10 Punkte vergeben werde…
So, nachdem mir das göttliche „Lost Keys“ noch einmal durch die Ohren gezogen ist, bin ich mir sicher. Diese Scheibe (und ganz besonders die Version im Digipack) ist deutliche 10 Pukte wert.

03.06.2006
Exit mobile version