Tom Morello - The Atlas Underground Fire

Review

Soundcheck Oktober 2021# 30

Wenn man ehrlich ist, dann stand TOM MORELLO in seiner Anfangszeit nicht unbedingt bei vielen auf dem Zettel der innovativsten Gitarristen. Fast schon zu integer war sein Platz bei RAGE AGAINST THE MACHINE, aus seiner Zeit bei LOCK UP kannten ihn freilich nur wenige. Aber genau diese Fähigkeit, stets präsent und doch song- und banddienlich auch mal aus der zweiten Reihe zu agieren, machte MORELLO bald zu einem echten Revoluzzer an seinem Instrument. Der unverkennbare Sound, die wuchtigen Riffs und die fehlende Furcht vor unkonventionellen Effekten verführten so manche Debütanten dazu, die sechsaitige Höllenmaschine zu erlernen. Ein “Killing In The Name” allein hätte das nicht vermocht.

TOM MORELLO ist kreativ wie immer und wie noch nie zuvor

Jetzt veröffentlicht der New Yorker den zweiten Teil seines Crossing-All-Over-Vermächtnisses “The Atlas Underground” mit “The Atlas Underground Fire” und hat wieder ein wildes Konglomerat an Gastmusiker:innen gefunden, das unterschiedlicher kaum sein könnte. Alte Szene-Veteranen wie Bruce Springsteen und Eddie Vedder geben den Staffelstab an Country-Rocker CHRIS STAPLETON ab, während sich verträumte Pop-Essenzen mit PHANTOGRAM und mit hochmodernem Schunkel-Beat von GRANDSON verbinden. In Wirklichkeit hat sich MORELLO bisher noch nie in dieser Konsequenz aus der Komfortzone seiner Anhängerschaft gewagt.

Der Opener “Harlem Hellfighter” kündigt es bereits an: Dieses Album wird Probleme machen. Was folgt ist fast ein bisschen peinlich. Zusammen mit den bereits erwähnten Springsteen und Vedder trägt MORELLO den alten AC/DC-Schenkelklopfer “Highway To Hell” zu Grabe. Weiter geht es mit einem Standard zusammen mit BRING ME THE HORIZON, wo allerdings die fette Riffkunst des Saiten-Hexers endlich zu hören ist und die britischen Alleskönner so hart wie lange nicht mehr klingen.

Schuster, bleib bei Deinen Leisten?

Auch die Gehversuche mit PHANTOGRAM und CHRIS STAPLETON bieten geschmackvolle Abwechslung in der sonst so verwaschenen Heavy-Metal-Küche daheim. Über die unheilvollen Experimente mit GRANDSON und Mike Posner deckt man allerdings besser den Mantel des Schweigens. Das riecht nach schmutzigem Tagwerk, indem ein vermeintlich breites Publikum angesprochen werden soll. So wirklich nimmt das TOM MORELLO allerdings nicht ab. Zu schmalbrüstig ist sein Input auch auf Songs wie “Night Witch”, auf dem sich PHEM mit Mickey-Mouse-Stimmchen durch drei unschöne Minuten laviert. Und dann verschmelzen Club-Sound und Remix mit TOM MORELLOs unwiderstehlichem Timbre wenn zusammen mit PROTOHYPE die ganz große Crossover-Keule gezückt wird.

Auch “Save Our Souls” mit dem REFUSED-Mann Dennis Lyxzen macht einfach Spaß und man wünscht sich, dass diese Zusammenarbeit für alle 12 Songs auf “The Atlas Underground Fire” stattgefunden hätte. Aber dann hätte die Platte schon wieder zu sehr nach RAGE AGAINST THE MACHINE geklungen. Ein Mann wie MORELLO hat es eben bei all seinem kreativen Schaffen nicht leicht, die Erwartungen an ihn zu erfüllen.

Bass, Bass – Wir brauchen Bass

Auf der Zielgeraden wummert dann der Bass noch einmal so richtig hart, während “On Shore Of  Eternity” einen der interessantesten Meilensteine des Albums markiert. Zusammen mit der aus Palästina stammenden DJ SAMA ABDULHADI kreiert MORELLO einen wahren Malstrom aus treibender Ästhetik und fiebriger Atmosphäre. In gewisser Weise bildet das Stück den unvermeidbaren Höhepunkt auf “The Atlas Underground Fire”, auch wenn kaum Gitarren zu hören sind.

“The Atlas Underground Fire”: Nicht konkurrenzfähig

Als sich CHRIS CORNELL einst mit “Scream” ähnlich weit über die Reling der Markenzeichen gelehnt hatte, wollten ihn nicht wenige seiner Fans Kielholen lassen. So schlimm wird es im Falle von “The Atlas Underground Fire” nicht sein, immerhin hat sich dieses oft überzogen wirkende Gebräu letztlich angekündigt. Neben wirklich hörenswertem Material sind allerdings genauso viele verzichtbare Erzeugnisse von exzentrischem Mixtur-Wahnsinn entstanden. Besser als sein Vorgänger, im Vergleich zu den ebenfalls noch jungen Kollaborationen mit THE STRUTS und THE BLOODY BEETROOTS allerdings nicht konkurrenzfähig, wird es dieses Album schwer haben, sich in der langen Diskografie von TOM MORELLO durchzusetzen.

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08.10.2021

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