This Heat - Deceit

Review

Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.

THIS HEAT waren eine kurzlebige, aber einflussreiche Experimental-Rock-Band aus London, die es lediglich auf zwei Full-Length-Alben gebracht hat, sieht man mal von Platten ab, die „posthum“ veröffentlicht worden sind. Beide regulären Alben aber haben es gehörig in sich, was anspruchsvolle und kompromisslose Tonkunst angeht. Die Gründung der Band um die Multiinstrumentalisten Charles Hayward und Charles Bullen geht auf den Zerfall der Band QUIET SUN zurück, ein Projekt unter Beteiligung respektive Führung von ROXY MUSIC-Gitarrist Phil Manzanera, in dem die beiden bereits zusammen spielten, bevor sie einige Zeit nach deren Auflösung zusammen mit Gareth Williams THIS HEAT gründen würden.

Ein Klumpen jagt den nächsten

Nachdem man erstes Airplay erfuhr, nahm das Trio  das selbstbetitelte Debüt im Cold Storage Studio auf, einem zum Studio umfunktionierten Kühlraum. Dieses Debüt zeigt eine Band, die zwar konventionelle Instrumente benutzt, diese durch Soundmanipulation oder schlicht unkonventioneller Spielweise jedoch teilweise derart verfremdet und verzerrt darbietet, dass das Ergebnis verstörend abstrakt, mindestens aber ungemein sperrig gerät. Die Grundrezeptur basiert dabei natürlich auf zeitgenössischer Rock-Musik mit Tendenz hin zum Post-Punk und möglicherweise sogar einem Hauch New bzw. No Wave.

Das hier zu besprechende Folgealbum „Deceit“ ließ den Biss des Debüts in Sachen Kompromisslosigkeit nicht lockerer werden, packte die unkonventionelle Musikalität des Trios jedoch in ein deutlich songorientierteres, etwas zugänglicheres Gewand. Der Titel ist sicher ein lautmalerischer Verweis auf den Bandnamen, während das Cover aus einer Kollage an Fotografien von Atompilzen, Politikern wie Ronald Reagan und weiteren, den Krieg direkt oder indirekt referenzierenden Grafiken besteht, die auf den gequälten Gesichtsausdruck von Gareth Williams projiziert worden ist. Womit die zentrale Inspiration des Albums auch bereits erklärt ist.

THIS HEAT und die experimentelle Verzweiflung

Genauer entstand das Album aus der Angst vor der Auslöschung durch die unmittelbare Bedrohung des Atomkrieges heraus. Die Lyrics werden dabei gerne in kryptischen oder fragmentarischen Texten kommuniziert, die reichlich Interpretationsfreiraum bieten, wenn sie nicht gerade undurchdringlich anmuten – eine Schwelle, auf der zum Beispiel das komplett in Frageform getextete „Paper Hats“ wandelt. Einschlägigere Texte gehören aber ebenfalls zum Programm, wie etwa die vertonte Passage aus der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung in „Independence“, die im Kontext des Albums vor Zynismus regelrecht trieft.

Die musikalische Untermalung suggeriert währenddessen einen aufgelösten, fiebrigen Gemütszustand, der nicht viel Platz für Hoffnung bietet. Das erreicht die Band zum Beispiel durch eine subtile, kontrollierte Verstimmung der Instrumente und der dadurch erzeugten Dissonanzen, die bei den einzelnen Stücken mitschwingen lässt, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Und natürlich schaffen THIS HEAT diese Stimmung auch durch eine Gesangsdarbietung, die wie von Sinnen klingt, seien es verzweifelte Schreie, die im Lärm untergehen, oder Gesangspassagen, die leicht neben der Spur verlaufen, ohne jedoch zu sehr in die Schieflage zu geraten.

Kontrollierte Unordnung auf „Deceit“

„Deceit“ artet dabei jedoch zu keiner Zeit in Chaos aus, auch wenn die Instrumentierung gerne wie zerhackstückelt und wieder zusammengesetzt anmutet und einige Momente bisweilen sogar regelrecht „lose“ daher kommen, beispielsweise „Triumph“, das von furchtbar verschnupft klingenden Bläsern dominiert wird. Neben solchen Kuriositäten finden sich natürlich eine Reihe als Rock-Songs erkennbare Tracks auf dem Album wieder, die jedoch ebenfalls diese fieberhafte Stimmung inne haben. Ein Hauch der experimentellen KING CRIMSON weht hier mitunter durch diese rockigeren Songs, wobei THIS HEAT natürlich mehr auf die reine Untergangsstimmung abzielen.

Hier kommt die punkigere Kante des Sounds zum Vorschein, die sich bei „S.P.Q.R“ und „A New Kind Of Water“ jeweils von ihrer eingängigeren, beinahe peppigen Seite zeigt. Bei „Paper Hats“ und „Makeshift Swahili“ dagegen arbeiten THIS HEAT mit sperrigeren Mitteln. In „Paper Hats“ glänzt Haywards Schlagzeugspiel durch eine fast maschinelle Beschaffenheit, die durch die sehr rhythmisch gespielten Riffs noch weiter akzentuiert wird. Der Wechsel vom apathischen Gesang hin zu den verzweifelten Schreien tut sein Übriges. „Makeshift Swahili“ legt mit seinen trägen Grooves zu Beginn des Stückes in Sachen Härte ein paar Kohlen drauf, während die Gitarren drum herum immer wieder scharfe Nadelstiche setzen.

Und nach der Hitze?

Kurz: Das Album balanciert seine schrägen Momente durch den Fokus auf Songs aus, ohne die eigene Kompromisslosigkeit zu untergraben. Doch hier sollte es allmählich zu Ende gehen mit der Band. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung verließ Gareth Williams die Formation, ehe diese nach der folgenden Tour durch Europa endgültig zerfiel. Ein späterer Wiederbelebungsversuch scheiterte unter tragischen Umständen, als Williams 2001 seinem Krebsleiden erlag. Später begannen Bullen und Hayward 2016 unter dem Projektnamen THIS IS NOT THIS HEAT, einige ausgewählte Shows unter Beteiligung von Gästen wie Daniel O’Sullivan (u. a. SUNN O))), ULVER) zu bestreiten.

Mit Musik wie dieser fährt man natürlich keine großen Verkaufszahlen ein, damals wie heute. Entsprechend war das kommerzielle Feedback seinerzeit auch eher dürftig. „Deceit“ entwickelte sich jedoch in der Szene zu einem einflussreichen Meilenstein. Es demonstrierte, dass die Idee von Progressivität längst nicht auf reines Songwriting beschränkt ist, sondern dass Grenzen auch im Aufnahme- bzw. Produktionsprozess an sich gesprengt werden können. Und dank seiner zu Grunde liegenden Thematik bewahrt sich das Album auch inhaltlich bis heute eine gewisse Relevanz. Kurz: „Deceit“ sollte man gehört haben.

Und wenn man schon dabei ist, kann man sich auch an das deutlich sperrigere Debüt heranwagen…

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30.10.2019

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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