Various Artists - The Problem of Leisure: A Celebration of Andy Gill and Gang of Four

Review

Was bleibt von mir, wenn ich nicht mehr bin? Eine Frage die sich viele Menschen stellen, natürlich auch Musiker. Deren Songs überdauern dank Tonaufnahmen in der Regel die Erdumdrehungen. Aber allein die Aufnahmen zeugen nicht von dem menschlichen Fußabdruck, denn was ist ein Song ohne jemanden, der ihn hört. Ein ähnlicher Gedanke dürfte Andy Gill umgetrieben haben. Seine Band GANG OF FOUR hat nie besonders viele Platten abgesetzt, kann aber nicht von sich behaupten, dass sich niemand für sie interessiert hätte.

Michael Stipe von R.E.M., Flea von den RED HOT CHILLI PEPPERS und Kurt Cobain bezeichneten das Quartett aus Leeds als großen Einfluss für ihre Musik. Mit dem Post-Punk-Revival der 2000er Jahre gab es einen ganzen Trend, der sich auf sie bezog. Mit „Return The Gift“ erschien 2005 schon ein Album mit Neuaufnahmen und Remixen.

2019 machte sich Gill an die Arbeit für ein Tribute-Sampler, hat auch einige Aufnahmen im Studio begleitet, doch am 1. Februar 2020 verstarb er im Alter von 64 Jahren. Seine Ehefrau Catherine Mayer hat das Projekt zum Abschluss gebracht. Wenn es sich um ein Studioalbum gehandelt hätte, hätte dieses Resultat die Aura, die schon das Requiem von Mozart ausmacht. 42 Jahre nach der Erstveröffentlichung von „Entertainment!“ liegt mit „The Problem Of Leisure: A Celebration Of Andy Gill and Gang Of Four“ eine Retrospektive der besonderen Art vor. Auf vier Vinyl-Seiten wird nicht nur dokumentiert, was die Band geleistet hat, sondern auch wie es sich ausgewirkt hat.

Der Start verläuft konservativ: Die Feier fängt mit IDLES an, vielerorts als Gallionsfigur einer neuen Punk-Welle gefeiert: Sie eröffnen den Reigen mit einer originalgetreuen Version von ‚Damaged Goods‘, zumindest wenn man das Gebrüll von Joe Talbot ausklammert. Auch Tom Morello und Serj Tankian streuen in ihre Version von ‚Natural’s Not In‘ nur dezent ihre Trademarks ein. Auch sie orientieren sich vor allem an der Originalversion.

Aber schnell wird klar, dass die radikalen Neuarrangements die Regel sind: 3D (eigentlich Robert Del Naja von MASSIVE ATTACK) hat zusammen mit den NOVA TWINS eine Chill-Elektro-Version von ‚Where The Nightingale Sings‘ beigesteuert. HOTEI kommen mit einer Dance-Pop-Version von ‚To Hell With Poverty‘ daher. Auf dem Album sind ausschließlich Bands aus der Post-GANG-OF-FOUR-Ära. Um stolz den Einfluss auf diese Dekaden zu zeigen, sind auch einige größere Namen hier von der Partie: HELMET drängen ‚In The Ditch‘ mit konfusen, noisigen Gitarren-Läufen in die Neunziger-Alternative-Ecke. Fleas Version kommt mit dominanten Slap Bass daher. WARPAINT liefern eine hypnotische Version von ‚Paralyzed‘ ab.

Aber dennoch ist man hierzulande erschrocken, wenn man den Namen HERBERT GRÖNEMEYER im Zusammenhang mit einer solchen Veröffentlichung liest. Es ist jedoch nur halb so schlimm. Der in Berlin ansässige Musikproduzent Alex Silva war bei der Version von ‚I Love A Man In Uniform‘ federführend, wesewegen diese Einspielung an so gar nichts erinnert, was man mit dem Bochumer verbindet. Eher klingt sie nach einer Kollaboration von BAT FOR LASHES und KLAUS NOMI.

Und zum Ende des Albums gibt sich mit KILLING JOKE auch eine Kapelle von einst die Ehre: Die Formation um Jaz Coleman wartet mit einer EDM-Version von ‚Forever Starts Now‘ auf. Im übrigen handelt es sich bei THE SOUNDS um die schwedische Indie-Rock-Band und nicht um die englische Post-Punk-Band ähnlichen Namens.

Trotz der enormen Bandbreite an Spielarten, die dieses Album bietet, lässt es sich erstaunlich gut an einem Stück anhören. Störender sind da die Mehrfacheinspielungen von Songs. So haben sich nicht nur IDLES, sondern auch LA ROUX an einer Version von ‚Damaged Goods‘ versucht, die reggaelastiger ausfällt.

„The Problem of Leisure: A Celebration of Andy Gill and Gang of Four“ taugt nur bedingt als eine Dokumentation des Einflusses des britischen Quartetts. So bewegen sich viele der Aufnahmen nicht im Punk-/Alternative-/Indie-Spektrum, auf das die Band so stark eingewirkt hat. Aber vielleicht sollte man das Album doch eher als ein Requiem sehen. Und auch wenn man sich über die verschiedenen Interpretationen streiten mag, so steht am Ende eins: GANG OF FOUR bleiben.

08.06.2021

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