Noch ist er nicht so richtig da, der Herbst. Aber wenn man sich dieser Tage in den Abendstunden mit einem Heißgetränk nach Wahl bewaffnet der neuen Platte der britischen Prog-Rock-Konstante THE PINEAPPLE THIEF widmet, dann kann man ihn schon fühlen.
Auch auf ihrem zwölften Album „Dissolution“ agieren die Männer um Bruce Soord wieder geschmackvoll zwischen „Hygge“ und „Demon Of The Fall“, Verträumtheit und Melancholie. Ihr Prog ist nicht anstrengend und wenig verkopft. Er streift Ohr und Befinden, kann intensiv sein oder vorbeiziehen – das bleibt dem Hörer überlassen.
Gavin Harrison bereichert THE PINEAPPLE THIEF
Nach „Your Wilderness“ von 2016 stellt „Dissolution“ die zweite Zusammenarbeit mit Schlagzeug-Visionär Gavin Harrison (PORCUPINE TREE, KING CRIMSON) dar. Sein akzentuiertes und glasklares Spiel trägt zu einem nicht unerheblichen Teil zum beruhigenden Charakter des Albums bei. Zudem fordert es die bei THE PINEAPPLE THIEF ohnehin nie fernen Vergleiche mit STEVEN WILSON geradezu heraus. Wo beispielsweise „Hand. Cannot. Erase.“ aber Song für Song auf einen albumumfassenden Klimax hinsteuerte, lassen sich die einzelnen Tracks auf „Dissolution“ durchaus separiert voneinander betrachten und genießen. Sieben von insgesamt neun Songs bleiben unter einer Spielzeit von sechs Minuten und stellen in sich geschlossene Prog-Momente der zugänglicheren Art dar.
Instrumental wird das Album klar von Akustik-Gitarren, sanft rollenden Bässen und Klavierpassagen dominiert. In dieser Hinsicht liegt auch die Frühphase des WILSON-GEFFEN-Projektes „Blackfield“ nicht allzu fern. Ab und an leitet eine Slide-Gitarre (vergleiche PINK FLOYD – „High Hopes“) ein schwelgerisches Finale ein („Try As I Might“), noisige Ausbrüche verkneifen sich THE PINEAPPLE THIEF allerdings über weite Strecken. Im Gegenteil drücken nicht selten Lagerfeuer-Passagen dem Werk ihren Stempel auf. Das eineinhalbminütige Akustik-Stück „Pillar Of Salt“ erinnert mit seiner introvertierten Akkord-Folge und der Gesangsmelodie zum Beispiel überraschend eindeutig an RAMMSTEINs „Seemann“.
Die Souveränität klingt leicht durch
Überhaupt nehmen sich die britischen Ausnahmemusiker auf „Dissolution“ instrumental sehr zurück und geben einfachen Rhythmen und Klangfolgen viel Raum zur Entfaltung. Als Ausnahme darf das elfminütige „White Mist“ diese Regel bestätigen.
So ist das neue Album von THE PINEAPPLE THIEF am Ende selbstverständlich ein Hörgenuss – wenn auch einer, dem der eine oder andere Ausbruch aus dem Besonnenen sicherlich gut getan hätte. Dennoch bietet „Dissolution“ als das, was es sein möchte, wenig Anlass zur Kritik. Die Briten liefern weiterhin im straffen Zweijahrestakt höchste Qualität für Träumer, Soundästheten und Proggies. Diesmal klingt halt die Souveränität minimal durch.
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