Das französische Quintett THE OLD DEAD TREE hat eine recht bewegte Geschichte hinter sich. Gegründet in 1997 in Paris, folgte die erste Trennung in 2009. Unerwartet gab es eine kurze Reunion in 2013 zur Feier des zehnjährigen Jubiläums ihres Erfolgsalbums “The Nameless Disease“. Danach herrschte wieder Funkstille, bis die Herren überraschend Ende 2019 ihre EP “The End“ ankündigten, die einen Abschiedsgruß an ihren bereits 1999 durch Suizid verlorenen Schlagzeuger Frédéric Guillemot darstellen und gleichzeitig das endgültige Aus der Band markieren sollte.
Erstes sprießen neuen Lebens?
Doch so ganz das Ende war es dann doch noch nicht. Es gab weitere Lebenszeichen von THE OLD DEAD TREE, sogar eine Tour mit LACUNA COIL war in Planung. Nachdem diese Tour jedoch der Coronapandemie zum Opfer fiel, dachten THE OLD DEAD TREE erneut daran, sich diesmal endgültig aufzulösen. Doch dann fiel die Entscheidung, einen neuen Song zu schreiben. Mit der Single “Terrified“ im Gepäck meldete sich die Band im Frühjahr 2023 eindrucksvoll zurück, und setzte mit einem hochkarätigen Auftritt auf dem Hellfest Open Air im Juni 2023 noch einen drauf. Nun geht die Geschichte der Band weiter mit dem aktuellen Studioalbum “Second Thoughts“.
Das Album lässt sich flüssig durchhören, und ist gleichzeitig sowohl homogen als auch überraschend. Titel wie “Don’t Waste Your Time“, “Story Of My Life“ oder das brachiale “The Worst Is Yet To Come“ reißen den Zuhörer mit und werden live vermutlich sehr viel Spaß machen und die Massen zum Kochen bringen. “Second Thoughts“ beherbergt außerdem zwei Songtrilogien mit jeweils über drei Songs verlaufenden Storylines. So sind Song vier bis sechs (“Better Off Dead“, “Without A Second Thought“, “Luke“) unter dem Handlungsbogen “The Secret“ zusammengefasst, Song acht bis zehn (“Fresh Start“, “I Wish I Could“, “The Trap“) laufen unter dem Oberbegriff “The Hunt“. Thematisch geht es um tiefste menschliche Abgründe mit überraschenden Wendungen, die eines Krimis würdig und in fesselnd ausdrucksstarke musikalische Gewänder gekleidet sind.
Frontmann Manuel Munoz liefert eine brillante Gesangsleistung ab, die keine Wünsche offenlässt. Von hart bis zart deckt er die ganze Palette ab und glänzt sowohl an langsamen als auch dynamischen Stellen mit klaren, gefühlvollen Tönen, die Garant für Gänsehaut sind und streckenweise an die Qualität und Stimmfarbe von Joel Ekelöf von SOEN erinnern. Ein schönes Beispiel dafür ist der düster-verträumte Titel “Solastalgia“, der sich thematisch mit den psychischen Folgen des Klimawandels auf die Menschen befasst und in dem die Band von Raphaël Verguin von PSYGNOSIS am Cello unterstützt wird. Doch auch sehr überzeugende giftig-fauchende Growls sind kein Problem für Munoz, wie er zum Beispiel in “The Lightest Straw“ beeindruckend unter Beweis stellt. Der Sound auf “Second Thoughts“ ist insgesamt moderner und frischer geworden, ohne die Düsternis missen zu lassen, die für THE OLD DEAD TREE bezeichnend ist.
Weit entfernt von Totholz
Was THE OLD DEAD TREE hier vorgelegt haben, ist ein Statement. “Second Thoughts“ ist ein bockstarkes Album geworden, das man immer und immer wieder hören möchte, weil es zwar aus einem Guss und trotzdem wandelbar klingt und es ständig Neues zu entdecken gibt. Wer THE OLD DEAD TREE bisher noch nicht auf dem Schirm hatte, sollte sich dringend mit diesem Album auseinandersetzen.
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