Man scheint zu sich gefunden zu haben. Das Kollektiv THE OCEAN ist zu einer Band (zusammen-)gewachsen – oder geschrumpft? Wie dem auch sei, ganz wertneutral: THE OCEAN haben sich entwickelt. Mastermind Robin Staps, ehemals quasi Alleinherscher des Berliner Oceanland, hat ein mehr oder minder festes Team um sich versammelt; es scheint sogar, als flössen mittlerweile auch Ideen anderer Musiker in die Entstehung der Songs ein. Natürlich kann man beklagen, dass THE OCEAN damit einen Teil ihrer Außerordentlichkeit verloren hätten, dass viel des Gewaltigen, des Unkonstanten, ja, des fast Anarchischen (oder Diktatorischen) nicht mehr besteht. Sinnvoller als alles Lamentieren ist aber das Besinnen. Besinnen darauf, was THE OCEAN mittlerweile sind: Eine Band, die womöglich einige ihrer Alleinstellungsmerkmale verloren hat, sich allerdings nichtsdestotrotz weiterhin aus der Masse abzuheben weiß.
Die Geschichte der Band ist ihr wohl gleichsam Fluch und Segen: einerseits hat die mittlerweile schweizerische Truppe sich Ruf und Namen erspielt, andererseits müssen sie sich nun vor allen an einem messen lassen: ihrer eigenen Vergangenheit. Mit einem solchen Backkatalog, wie THE OCEAN ihn haben (Man denke alleine an das unerreichte „Precambrian“), kann man kaum noch über sich selbst hinauswachsen. So entsteht auch schnell die Erkenntis: „Anthropocentric“ ist sicher nicht das beste Album, das die Band je herausgebracht hat – nichtsdestotrotz ist es extrem lohnenswert und um einiges besser als das Gros gegenwärtiger Releases.
THE OCEAN sind nicht nur dafür bekannt, musikalisch weit auszuschweifen. Auch inhaltlich, konzeptionell spannt die Band teilweise extrem weite Bögen. Um der inhaltlichen Auseinandersetzung genügend Gewicht zu geben, braucht es viel Raum. „Fluxion“ und „Aeolian“ waren inhaltlicht dicht verwoben, ein getrennt erscheinendes Doppel-Album, „Precambrian“ erschien direkt als Doppel-Album, „Anthropocentric“ ist der zweite Teil von „Heliocentric“. Das aktuelle Album widmet sich inhaltlich, wie der Name schon erahnen lässt, der Kritik am Christentum, respektive dessen Welt- und Menschenbild.
„Anthropocentric“ mit „Aeolian“ zu vergleichen ist, wenngleich die Band damals noch in einer anderen Schaffensphase war, gar nicht so abwegig: auch das aktuelle Album präsentiert sich ungleich härter und direkter als sein Vorgänger.
Der Beginn des Albums ist bereits eine Wucht. Die ersten Songs sind allesamt sehr straight, drückend, tight – und einfach mitreißend. Es war nichts anderes zu erwarten als eine gelungene Produktion, wenn THE OCEAN ein neues Album veröffentlichen, der Sound von „Anthropocentric“ ist allerdings wirklich eine Wucht. Die ersten drei Songs, allesamt von unbändiger Stärke, mit starker Sludge-Breitseite, wissen durch und durch zu begeistern und geben das gute Gefühl von Heimat.
Natürlich, das ist untrennbar mit der Band verbunden, gibt es auch wieder ruhigere Passagen. Zwar verzichtet man auf der neuen Platte weitgehend auf das ausweichend orchestrale, das sich auf einigen bisherigen Releases finden ließ, lässt es sich aber nicht nehmen, auch mal ins Balladeske zu gehen. Hierbei bewährt sich der neue Sänger Loïc, der die Stücke der Band auch mal anständigen Clean Vocals, die bei dem durchgehenden Geschrei früherer Werke ab und zu ebenfalls gepasst hätte, veredelt. Nichtsdestotrotz: Der vierte Song, „For He That Wavereth…“ ist nicht mehr als ein ruhiges Intermezzo, das sich konzeptionell nicht wirklich ergibt, sich nicht stimmig einzufügen vermag – und hätte weggelassen werden können. Großartig ist der folgende Song „The Grand Inquisitor II: Roots and Locusts“, der alle Stärken der Band in sich vereint. Starke Melodieführung, drückende Riffs, sehr technische, dennoch schnell mitreißende Parts, Dynamik, Wechsel zwischen harten und verträumteren Passagen – THE OCEAN. Hätte jeder Song diese Stärke, wäre „Anthropocentric“ ein glattes Zehneralbum. Leider können die folgenden Songs nicht daran anknüpfen; „The Grand Inquisitor III: A Tiny Grain Of Filth“ ist eine nette, ruhige Abrundung mit weiblichen Vocals, die das Album etwas auflockert, nachdem das mir etwas zu wenig ausgearbeitete, zu rohe „Sewers Of The Soul“ folgt, das immerhin durch seine Gitarrenarbeit begeistert. „Wille Zum Untergang“ ist ein Post-Rock-Instrumental. Nett anzuhören, aber nichts, was Post-Rock-Hörer umhauen dürfte. Sehr frickelig geht es beim folgenden, sehr schnellen, sehr anstrengenden, sehr vertrackten „Heaven TV“ zu. Der Song ist sicher Geschmackssache, es ist wohl streitbar, ob er dem Album nicht zu viel Hektik zumutet – wer auf extremeres Mathcoregefrickel steht, wird an „Heaven TV“, das dann auch gar nicht mehr allzu heftig scheint, allerdings auch seine Freude finden. Ein wenig Nostalgie, ein wenig der alten THE OCEAN bringt der Schlusssong „The Almightiness Contradiction“ mit sich. Viele Musiker, klassische Instrumente, Gastsänger – Willkommen zu Hause? „The Almightiness Contradiction“ ist ein fast wehmütiger Song, auf alle Fälle der denkbar beste Abschluss für das neue THE-OCEAN-Album, die offenbar nie ganz ohne Epik können.
Was bleibt, sind gemischte Gefühle. Um „Anthropocentric“ zu bewerten, ist es notwendig, das Album losgelöst vom ganzen Schaffen der Band zu betrachten. Tut man dies, hat man es mit einem verdammt starken Album zu tun, das einige wenige Durchhänger verzeichnet, insgesamt aber starke Songs, gekonntes Songwriting, technische Klasse, eine grandiose Produktion und eine sehr dichte Stimmung zu bieten hat. Wären THE OCEAN nicht THE OCEAN, wäre ihr neustes Album sicherer Kandidat für mindest neun Punkte. THE OCEAN aber bekommen damit noch sehr starke acht Punkte.
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