Björn Strid hat Barret und Tanzschuhe wieder an- und die Sonnenbrille aufgezogen, sich in Schale geschmissen und startet mit THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA in die fünfte Vollzeitrunde. Wieder einmal erkundet die Crew des zur fliegenden, auf Schampus laufenden Limousine aufgepeppten AOR-Fliegers den nächtlichen Himmel, dessen große Hooks und große Synths entdeckt und genossen werden möchten. Die Tanzfläche setzt sich schließlich nicht von selbst in Brand und die müden Beine der sonst so plumpen Rockgemeinde wollen schwungvoll in Wallung versetzt werden. Was also eignet sich da besser als der melodische Sahne-Rock, den uns Strid und Co. seit 2012 geschmackvoll auftischen?
THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA bittet zum Tanz
Die Frage ist natürlich von rhetorischer Natur gewesen, das Melodic-Rock-Vehikel des SOILWORK-Fronters geht eigentlich immer, besonders wenn es um tanzbare Musik der stilsicheren Güterklasse geht, zu dem Metalheads an Festivals fröhlich Conga tanzen können, um die Presseinfo zu paraphrasieren, die das so schön beschrieben hat. Nach dem wieder etwas mehr dem druckvolleren Rock zugewandten Vorgänger geht die neue Platte „Aeromantic“ wieder ein Stück zurück und hin zur feinfühligen, sexy Eleganz von „Amber Galactic“. Statt aber nur diesen einen Schritt zurück zu machen, ist das neue Album mehr als das: „Aeromantic“ ist das vielleicht ABBA-lastigste Album der charismatischen Nachtflieger.
Oh ja: Das, was man THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA über die Jahre hinweg nur zu gerne vorgeworfen hat, machen sich die Melodic Rocker nun vollkommen schamlos zur großen Stärke von „Aeromantic“. So klingt „If Tonight Is Our Only Chance“ fast so, als hätte es ein Überbleibsel aus dem Schaffen der schwedischen Hit-Fabrikanten sein können. Romantisierende Keyboards, die dazugehörenden, kühlen und doch einladenden Melodien sowie eine locker und stilsicher sitzende Rhythmik bestimmen das Klangbild. Dazu liefert Strid eine elegante und doch jubilierende Hook, die wie ein Sahnetörtchen in die Gehörgänge eingeimpft wird, um dort für mindestens ’ne Woche zu bleiben.
Von legendären Hit-Fabrikanten und den Achtzigern beseelt?
Doch trotz dieser Eigenschaft bewahrt sich das Nachtflugorchester seine eigentümtliche Stimmung. Sie ist einmal mehr der emotionale Kern von THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA und im spezielleren eine Stärke von „Aeromantic“, die „Sometimes The World Ain’t Enough“ trotz dessen Höhepunkte seinerzeit ein bisschen abgegangen ist. Im Mittelpunkt stehen Synths und Keyboards, während die Gitarren mehr begleitende Arbeit leisten oder schmachtende Linien beisteuern. Und über allem thront Strids herausragende Gesangsdarbietung, der förmlich über die Songs hinwegschwebt und dabei stimmlich von seinen Stewardessen Anna-Mia Bonde und Anna Brygård begleitet wird, ja: von ihnen förmlich Aufwind erfährt.
Und genau hier fühlen sie sich wohl, hier ist das Nachtflugorchester am stärksten: Wenn sich aus rockender Eleganz und schamlos eingängigem Eighties-Pop eine derart in Ohr, Herz und Hüfte fahrende Melange herausbildet, die zu gechillten Cocktailschlürfen und sexy Mitwippen anregt. Hier bohrt sich eine Hook nach der anderen dauerhaft in die Gehörgänge hinein, mal mit mehr, mal mit weniger Zucker, dafür aber immer mit der nötigen Eleganz versehen. Hier kitzeln liebevoll in den Sound eingewobene Klischees die Achtziger-Nostalgie-Rezeptoren auf angenehme Weise. Das ist natürlich mehr als nur einmal schon ziemlich klarer Eighties-Fetischismus.
Passender kann man „Aeromantic“ kaum betiteln
Der kommt aber mit genügend Cheese und Überzeugung daher, dass „Aeromantic“ dies zu seiner großen Charakterstärke macht UND dabei große, eigenständige Hits am laufenden Band liefert. Dieser Fetisch äußert sich zum Beispiel in Form von sanft aufgetragener Synth-Percussion zu Beginn der Ballade „Golden Swansdown“ ziemlich deutlich, begleitet durch eine pulsierende Synth-Bassline, die mindestens genauso typisch Achtziger ist. Eine vergleichbare Bassline treibt auch „Transmissions“ bestimmt nach vorne. Die prägnanten Synths von „Dead Of Winter“ sprechen ebenfalls diese musikalische Sprache von Eighties-Nostalgie, die förmlich nach Neonfarben, wallenden Frisuren und einer nächtlichen Spritztour durch Malibu schreien.
In Sachen Expressivität holt Strid wirklich alles aus sich heraus und erweckt mit seiner herrlich schmachtenden Darbietung die Refrains von „If Tonight Is Our Only Chance“, „Transmissions“ oder „Carmencita Seven“ zum Leben. Die gefühlvolleren Cuts neigen entsprechend eher dazu, zu überlebensgroßen Hymnen heranzuwachsen. Aber auch die rockige Seite der Dinge kommt nicht zu kurz, zielt halt mehr in die Hüftgegend denn in Richtung des emotionalen Zentrums. Der Opener „Servants Of The Air“ beispielsweise besticht durch eine simple aber effektive Ryhthmusvariation im Refrain. Der Titeltrack bringt das Hüftgold gekonnt zum Schwingen. Unterdessen dürfte „Taurus“ (möglicherweise eine konzeptionelle Fortsetzung von „Gemini“?) der wohl nervöseste Song der Platte sein.
Nachtflugverbot? Drauf geschissen.
THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA zeigen sich wieder stark und feiern eine hochmelodische Party, die nur so vor liebevoll in Szene gesetzten Klischees trieft und diese doch mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit in frisch klingende Hits umsetzt. Mit dem richtigen Händchen für große Melodien und einem ABBA-Feeling, das stärker ausgeprägt ist als je zuvor, zwängen sich die Songs von „Aeromantic“ direkt in die Gehörgänge der Hörerschaft hinein – ob man will oder nicht. Die Schweden haben die kleinen Turbulenzen überwunden und liefern erneut ein wunderbares, lebensbejahendes Rock-Album ab, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Auch als jemand, der zum Lachen und Lieben lieber in den Keller geht…
Muss…TANZEN!
Mir wird ja übel davon. Also vom Tanzen jetzt…
Ach! Die Übelkeit dabei kommt vom Tanzen? Wieder was gelernt.
Oder ist es der Speed? Das, die? Huuuuuuuuuärrrrrgh
Ich find’s super. Es muss ja nicht immer Geballer sein.