Ich geb’s zu: Ich war ganz schön überrascht, als ich – erst nach dem Genuss von „Countenance“ wohlgemerkt – herausfand, dass THE MERCURY TREE aus Portland, Oregon, stammen; „Countenance“ klingt nämlich dermaßen „unamerikanisch“ und schon gar nicht nach der US-Westküste, dass ich niemals damit gerechnet hätte, von dort solche Musik genießen zu dürfen. Die zehn Songs bieten nämlich sehr bodenständigen Progrock, der gekonnt Retrospektive mit Moderne verknüpft, dass ich THE MERCURY TREE irgendwo im mitteleuropäischen Raum oder dem südlicheren Skandinavien verortet hätte. Dass mir außerdem der Name PORCUPINE TREE mehr als nur einmal durch den Kopf geht, ist sicherlich auch kein Zufall.
Doch der Reihe nach: Bei „Countenance“ handelt es sich wie schon erwähnt zumindest grob um ein Progrock-Album, das jedoch viele andere (mehr oder weniger verwandte) Stilelemente verarbeitet und damit nicht nur ziemlich eigenständig um die Ecke kommt, sondern auch noch über sehr weite Strecken extrem unterhaltsam ist. Es gibt Jazz-Anleihen zu hören, progressiv-metallisch anmutende Frickeleien, eine Art Mathrock (Mathcore mit zahmerer Instrumentierung, wenn man so möchte) und ziemlich viel „gemäßigten“ Art Rock. Namen wie die bereits erwähnten PORCUPINE TREE, neuere OPETH, PINK FLOYD und mit Abstrichen sicher auch TOOL könnten einer ungefähren Orientierung dienen, wenngleich THE MERCURY TREE ein eigenes Gesicht besitzen, das es für Prog-Anhänger zu erforschen gilt.
Die Song-Strukturen und Arrangements gelingen THE MERCURY TREE dabei meisterhaft – und auch für diejenigen, die heute noch feuchte Träume von TOOLs Fibonacchi-Frickeleien haben, gibt es eine Menge zu entdecken. Dennoch ist der Dreier über den Großteil der gut 57 Minuten sehr erfolgreich darin, seine Songs nachvollziehbar und vor Allem griffig zu gestalten: Insbesondere die erste Hälfte „Countenance“s ist von tollen Gesangslinien und gut ins Ohr gehenden Motiven geprägt. Dieser Anteil nimmt im Laufe der zweiten Hälfte des Albums ab und macht Platz für – für meinen Geschmack – etwas viel Prog-Gedudel, das aber glücklicherweise nie so aufdringlich wird wie zum Beispiel bei DREAM THEATER.
Kurzum: „Countenance“ ist erdiger, bodenständiger Prog Rock/Metal, der zwar auf der einen Seite viele feine Details bietet, in denen man sich verlieren kann, auf der anderen Seite aber den geneigten Hörer niemals überfordert, sondern im Gegenteil noch viele „Haltegriffe“ für Musik-Genuss mit ausgeschaltetem Kopf bietet.
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