Die mittlerweile in den Ruhestand getretenen RUNNING WILD waren neben ACCEPT lange Zeit das Heavy-Metal-Aushängeschild in Deutschland, und jeder, der sich mit Genrealben der frühen Achtziger beschäftigt, wird früher oder später über ein Album stolpern, das innerhalb von drei Monaten und ohne nennenswerte Promotion 20.000 Einheiten absetzen konnte: „Gates To Purgatory“, das 1984 veröffentlichte Debütalbum von RUNNING WILD, schlug ein wie eine Bombe, und entfesselte sowohl auf nationaler Ebene als auch international Begeisterungsstürme bei Presse und Fans gleichermaßen. Dafür verantwortlich waren aber vor allem zwei junge Männer: Rolf „Rock’n’Rolf“ Kasparek, der im Laufe der Jahre als einziges verbleibendes Gründungsmitglied RUNNING WILD verkörperte, und Gerald „Preacher“ Warnecke, der einen Song wie „Prisoner Of Our Time“ schrieb und dieser als Hymne viele Jahre lang aus keinem Live-Set von RUNNING WILD wegzudenken war. Da Preacher sein Theologiestudium abschließen wollte, verließ er RUNNING WILD und wurde wenig später evangelischer Priester. Erst 2008 meldete er sich mit einem Überraschungsauftritt gemeinsam mit den Finnen CAST IRON auf dem „Keep It True“-Festival an der Gitarre und auf der Bühne zurück. Es folgte ein kurzes Mitwirken bei SNAKE RIDE RODEO und mündete schließlich in der Gründung einer eigenen Band gemeinsam mit Ex-THE COMPANY-Shouter Guido Krämer. Die weiteren Mitglieder wurden in Ex-UNDERDOG-Schlagzeuger Peter „Unruh“ Michels und Tino Weber (Ex-INSOLENCE) am Bass schnell gefunden.
Nun liegt das Debütalbum von THE GATE vor, deren Bandnamen natürlich in Anlehnung an RUNNING WILDs „Gates To Purgatory“ gewählt wurde. Heavy-Metal-Fans können sicherlich erahnen, wie sehr es in der Magengrube kribbelt, nach über 25 Jahren Neues von einem Musiker zu hören, in diesem Fall vom Preacher, der eine Art Legendenstatus genießt.
Damit Freunde von RUNNING WILD jedoch nicht etwas in den falschen Hals bekommen, muss vorweg ganz deutlich darauf hingewiesen werden, dass THE GATE, bis auf wenige augenzwinkernde Fingerzeige auf die Vergangenheit des Preacher, keineswegs versuchen RUNNING WILD zu ersetzen oder sogar zu kopieren. THE GATE wollen eigenständig klingen, und genau das tun sie zu einem Großteil auch, nicht zuletzt durch den markanten Gesang von Guido Krämer, dessen Stimme genauso rau und dreckig klingen kann, wie angenehm gefühlvoll oder kräftig shoutend. Nicht zuletzt sind es auch die Lyrics, die eher das genaue Gegenteil eines Albums wie „Gates To Purgatory“ darstellen und logischerweise weder okkult dargeboten werden, noch in blühender Fantasie aufgehen, wie es Krämer in der Live-Adaption von „Prisoner Of Our Time“ zum Besten gibt, und im Pre-Chorus „wild and heavy is our sound“ singt anstatt „black and heavy is our sound“.
„Earth Cathedral“ beginnt mit einem atmosphärischen Intro („Through The Gate“), dessen Riff vom bereits erwähnten „Prisoner Of Our Time“ stammt, und nahtlos in die erste Hymne übergeht: „Shout For Metal“ lebt von melodischen Riffs, kräftigen Drums und einem eingängigen Chorus, der sich sofort einprägt und mitsingen lässt. Ein weiteres Highlight des Albums ist „Face Your Fear (The Money Song)“, der sehr ruhig beginnt und sich immer weiter im Tempo steigert, bis im Mittelteil Warneckes Gitarrenspiel viel Freiraum geboten wird. Auch eine epische Nummer haben THE GATE im Repertoire: „1.000 Miles Away“ besticht dabei vor allem mit Krämers gefühlvollem Gesang und erneut mit einem wunderbaren Gitarrensolo, das so nur vom Preacher stammen kann. Der Titelsong zum Abschluß kann mit fetten Chören punkten.
Mit Songs wie „Mountains“ und „Hiding Where The Wolf Lives“ haben sich allerdings auch einige stark durchschnittliche Mid-Tempo-Songs eingeschlichen, die einfach nicht richtig zünden wollen. Auch der nie offiziell veröffentlichte RUNNING WILD-Track „Deliver From Sin“ ist völlig misslungen – die Essenz des Songs, der ständige Wechsel zwischen schleppend vorgetragenem Vers und stampfendem Chorus ist in der Version von THE GATE leider abhanden gekommen und versprüht so nicht mehr die Faszination des Originals.
„Earth Cathedral“ ist ein Album, das Heavy-Metal-Fans nicht enttäuschen wird, da es zum einen unheimlich gut tut zu wissen, dass der Preacher sein Handwerk auch nach so vielen Jahren nicht verlernt hat und Guido Krämer ein starker Sänger mit Wiedererkennungsfaktor ist, zum anderen aber bieten einige Songs kaum Überraschungen und man hat das Gefühl, das sehr viel vorhandenes Potential verschenkt wurde. Nichtsdestotrotz beweisen THE GATE, das sie mühelos mit bereits etablierten Bands des Genres mithalten können, und machen bereits jetzt Laune auf eine hoffentlich nicht zu weit in der Zukunft liegende zweite Langrille.
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