The Gaslight Anthem - American Slang

Review

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Ich lege mich fest: Der aus New Brunswick, New Jersey stammende Brian Fallon ist einer der begabtesten und wertvollsten Künstler, die die letzte Generation der musikalischen Talentriege hervor gebracht hat. Nicht, weil er technisch die herausragendsten Kabinettstückchen von Allen zeigt, sondern weil er vor allem aus kompositorischer Sicht ein Talent hat, dass so vielen anderen neu geborenen, angeblichen Stars abgeht: Er schreibt nicht einfach Songs, er schreibt Lebensgeschichten. Und er steht schon jetzt, mit knapp 30 Jahren, nicht weit weg von der Stufe der ganz großen Geschichtenerzähler wie seinem großen Vorbild BRUCE SPRINGSTEEN oder BOB DYLAN. Sein zeitgemäßer Ansatz, der die große Sehnsucht der frühen zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts mit den Fragen und Träumen der Neuzeit verbindet, ist in seiner Form einzigartig. Und, nicht zu vergessen, er hat drei Bandkollegen bei THE GASLIGHT ANTHEM, die diese Einzigartigkeit mit ihm in Lieder für die Ewigkeit verwandeln.

THE GASLIGHT ANTHEM leben vom ungeschliffenen, direkten Bauchgefühl. Hier darf es auch mal einfach zur Sache gehen, es geht nicht um wahnwitzige Frickelorgien. Es geht um unbedarfte Verarbeitung dessen, was tief im Menschen schlummert. In einer Zeit, in der immer mehr Bands die großen Weltverbesserer spielen und sich als Sprachrohr der politischen Elite sehen, erlösen uns die vier Endzwanziger so gut sie können die emotionalen Blockaden und stellen klar, dass es sehr wohl noch erlaubt sein muss, abseits von wichtigen Themen wie Klimawandel und Afghanistan-Krieg die persönlichen, im eigenen Körper gefangenen Themen aufzugreifen. Das Vorgängeralbum „The 59 Sound“ war nach dem punkig-rohen Debüt die melancholische, immer etwas nostalgische Gefühlsachterbahn, die romantisch-schaurige Suche nach der eigenen Vergangenheit. Fragen, die man sich in dieser Phase seines Lebens nummal stellt, textlich in ein nahezu poetisches Gewand gepackt, musikalisch mit Hilfe leidenschaftlicher Melodien besungen. In dieser Form beinahe perfekt.

„American Slang“ ist facettenreicher ausgefallen, die Nostalgie scheint manchmal, aber nur manchmal, dem Antrieb für alles Weitere zu weichen, die Messages sind nicht weniger verträumt, aber etwas positiver. Dort wo die vertonte Einsamkeit eines BRUCE SPRINGSTEEN auf die Lebensfreude melodischer Punk/Indie-Rock-Bands wie AGAINST ME oder BOUNCING SOULS trifft, haben es sich THE GASLIGHT ANTHEM bequem gemacht. Die Songs erzählen von nicht erfüllter Liebe, der Suche nach der weiten Welt, dem Verlangen nach innerer Zufriedenheit. Gradezu alltägliche Bilder der Welt um uns werden gezeichnet, alles, was da draußen vor unserem Fenster passiert, erscheint bei näherem Hinschauen irgendwie magsich. Bei „Stay Lucky“, „Boxer“ oder „Old Haunts“ erklingen farbenfrohe, lebensbejahende Hymnen, während ein betont nachdenklicher Song wie „The Queen Of Lower Chelsea“ wie ein nicht enden wollender Herbstspaziergang anmutet, so wie jene, bei denen man ausnahmsweise ein paar Straßenblocks weiter läuft, weil man den Kopf frei bekommen möchte, und weil es so viel um und in sich selbst zu erkunden gibt. Bei „The Spirit Of Jazz“ leuchten die Werbetafeln von Downtown-New York im nächtlichen Nieselregen, in dem man sich gleichzeitig frei und einsam fühlt, stellvertretend für die Orte, an die man immer wieder zurückkehrt, weil man dort ein einschneidendes Erlebnis hatte. In der insgeheimen Hoffnung, diese Momente seien so einfach reproduzierbar, was sie natürlich nicht sind, und so legt sich mit „We Did It When We Were Young“ wieder ein etwas nebliger Schleier von Traurigkeit über das ganze Szenario.

Dort, wo „The 59 Sound“ mit seinem süchtig machenden Fluss überzeugte, wurde mit „American Slang“ die Notwendigkeit erkannt, auch mal einen tiefen Graben zu reißen. Das macht das Album insgesamt ein bisschen relaxter, die großen Melodien, die in unglaublich kompakter Form dargebotenen Soundtracks des allgegenwärtigen menschlichen Innenlebens sind aber immer noch vorhanden. Natürlich ist Brian Fallon ein aufwühlender Sänger, der keine Arien schmettert, aber jederzeit authentisch und ehrlich klingt, natürlich wissen Gitarrist, Bassist und Drummer, das sie auch mit relativ einfachen Mitteln diese Atmosphäre unterstützen können. „American Slang“ präsentiert eine Band, die in einer guten halben Stunde jenes zentrale Element der Musik wieder in den Mittelpunkt rückt, das heute so oft verloren scheint: das Gefühl. Man kann auch als Metal-Fan, natürlich aber auch als jeder andere Mensch, sowohl diese Scheibe wie auch seinen Vorgänger immer wieder hören. Immer im Wechsel, stets auf Repeat. Und wenn man Musik wegen seiner tiefgreifenden Persönlichkeit liebt, dann wird man immer wieder einen Drang verspüren, den Musikern für dieses Kleinod der Lebensverschönerung zu danken.

Dass THE GASLIGHT ANTHEM im Zuge eines offenbar aufbäumenden Indie-Rock-Booms auch von wenig hinterfragenden Zeitgeist-Konsumenten aufgesogen werden, ist etwas schade, macht ihre Musik aber nicht weniger wertvoll. Denn wir wissen ja, Brian Fallon ist einer der Besten. Überhaupt.

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21.09.2010

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6 Kommentare zu The Gaslight Anthem - American Slang

  1. mastei sagt:

    Bravo, eine tolle und treffende Besprechung, die auf das eingeht um was es bei dieser Musik einfach geht: Das Gefühl!

    10/10
  2. honksen sagt:

    Ödes Teenager Geschrammel. Die Scheibe hat hier überhaupt nichts verloren. Zur Erinnerung – dies ist ein Metal-Ezine.

  3. heiko@metalde sagt:

    Na, zum Glück entscheiden wir das mal schön ganz alleine 😉

  4. honksen sagt:

    Na, ich sehe Dich hier schon ernsthaft ein Review über "Franz Ferdinand" abdrücken – vorausgesetzt die Scheibe gefällt Dir und hat viel Gefühl :o) .

  5. heiko@metalde sagt:

    Die Scheuklappen überlasse ich Anderen. metal.de hat genügend Kapazitäten, um auch mal über den Tellerrand zu blicken.

  6. Anonymous sagt:

    Ein Review darüber hat hier nichts verloren – sehe ich genauso. Hier geht es um Metal und das sollte auch im Mittelpunkt stehen. Bitte Schuster bleib bei deinen Leisten. Wenn ich etwas über Indie erfahren möchte, gibt es wirklich andere Webzines als METAL.DE, auch wenn das Review, die Scheibe und auch die Band in Ordnung geht.

    btw.The ’59 Sound habe ich auch zuhause stehen.