In Sachen „Abgrund“ lassen es die Musiker ja im Jahr 2015 Album- und Songtitel-technisch krachen (CHELSEA WOLFE, SULPHUR AEON, CAELESTIA, THE ANTLERS, POSEIDON, SINEW…) und auch THE BLACK DAHLIA MURDERs „Abysmal“ ist ein Album, welches mit großer Vorfreude, aber auch der zugehörigen Portion „Vorsicht“ erwartet wurde. Nachdem der Vorgänger „Everblack“ zwar positive Kritiken bekam, bei manchem Hörer aber den Wunsch nach „etwas mehr“ offen ließ, darf sich das siebte Album nach der DAHLIA-typischen Wir-veröffentlichen-einfach-alle-zwei-Jahre-ein-neues-Album-Phase auf den Prüfstand begeben und bereits ein Blick auf das eindrucksvolle Cover schürt die hoffnungsvollen Erwartungen.
Doch steckt auch drin, was das Endzeit-Szenario außen vermuten lässt? Das Album beginnt mit „Receipt“, dem „besseren“ der zwei vorab veröffentlichten Songs. Der Ausdruck „besser“ trifft es nicht genau, vielmehr „schneller wirkend“, denn nicht nur in ihrer Aufmachung, auch inhaltlich sind die Songs kaum vergleichbar. Wo ersterer mit großem Knall die neue Show einläutet, zeigt sich sein Nachfolger „Vlad, Son Of The Dragon“ – gleichzeitig der zweite vorab veröffentlichte Song – mit einem sagenumwobenen Ritt in die Walachai und entwickelt gerade durch seinen Inhalt einen nachhaltigen Charme. Dieser inhaltlich erzählende Aspekt ist eine große Stärke, die dieses Album ausmacht: THE BLACK DAHLIA MURDER erzählen mit „Abysmal“ Geschichten. Geschichten, die inhaltlich mal mehr, mal weniger miteinander zu tun haben mögen, aber nur eine einzige und fesselnde Handschrift aufweisen.
Doch das Album hat noch mehr zu bieten: „Re-Faced“ beispielsweise überrascht durch seine anfänglich THE BLACK DAHLIA MURDER-typische Verhaltensweise, heißt: starke und schnelle Riffs gemischt mit Trevors unvergleichlicher Röhre, zeigt sich aber ab der Hälfte der Spieldauer mit einem langsameren Takt und ohrenfällig stärkerem Nacken-Workout-Potential – nicht zuletzt Alan Cassidy geschuldet. „Stygiophobic“, definiert als die Angst vor der Hölle, bricht das durchgehend schnelle und geladene Riff-Gewitter mit langsameren Takt, selbst die Gitarren-Soli sind vergleichsweise langsam, wiegt dies jedoch mit dunkler Stimmung und Härte wieder auf und neben „The Fog“, welches auf überraschende Weise Gedanken an MELECHESH aufkommen lässt, kristallisiert sich auch der Rausschmeißer „That Cannot Die Which Eternally Is Dead“ (nach „That Which Erodes The Most Tender Of Things“ endlich mal wieder ausgefallene Songtitel!) als Höhepunkt des Albums. Der Opener und das Schlusslicht werden übrigens mit musikalisch aneinander angelehnten Violin-Einschüben abgerundet und unterstreichen gleichermaßen den B-Movie-Charakter mit endzeitlichen Riffattacken, Solos und – OBACHT! – Melodien, die ganzheitlich so manch erstauntes Augenklimpern erwirken. Ja, Melodic Death Metal haben wir erwartet, aber eine grundsätzliche Frage stellt sich wirklich: Waren THE BLACK DAHLIA MURDER schon immer so eingängig oder ist man mit der Zeit einfach „abgestumpft“? „Abysmal“ ist überraschend melodisch und zugänglich und das schon beim ersten Durchlauf. Das geht? Bei THE BLACK DAHLIA MURDER? Echt jetzt? Es mangelt dabei keineswegs an abgrundtiefer Raserei – weder an den Drums, noch an den Saiteninstrumenten -, aber es fühlt sich doch so an, als seien die Arrangements insgesamt weniger sperrig und zusammengefasst homogener, vielleicht sogar „anspruchsvoller“ als es für schieren Prügel-Metal den Anschein machen mag.
Zuletzt sollte Augenmerk auf den stimmlichen Werdegang Trevor Strands gelegt werden, der auf „Abysmal“ meiner bescheidenen Meinung nach die Performance seines Lebens abliefert. Es gibt viele Bands, deren Musik von einer Stimme dominiert wird. Andere wiederum „funktionieren“ im Zusammenspiel, aber das eine wäre ohne das andere einfach nichts Besonderes und natürlich gibt es auch Gruppen, bei denen man problemlos die Person am Mikro austauschen könnte, ohne dass es der Musik einen Abbruch tun würde. Aber hier, bei diesen Jungs, ist es noch etwas Weiteres: Nicht nur hat Trevor insbesondere hinsichtlich seines Wechsels zwischen Screams und Shouts einen weiteren großen Schritt nach vorn gemacht, auch bieten gerade dieses gekonnte Wechselspiel und die Betonungen – allein durch Stimme und Aussprache – eine essentielle Stärke von THE BLACK DAHLIA MURDER, die meiner Meinung nach bisher auf keinem Album ihre Facetten derartig entfalten konnte wie auf diesem. Der Song bringt den Text voran, der Text bringt den Song voran – es ist eine fließende Bewegung, die die Tracks und das gesamte Album nicht nur vorantreibt und interessant gestaltet, sondern tatsächlich an Stellen abrundet, an denen bisher vergleichsweise eher (geplantes) Chaos herrschte. Vielleicht erscheint das Album deswegen „einfacher“. Es hat neben diesen Auffälligkeiten jedenfalls eine andere Ausrichtung, als „Everblack“, ist melodischer, weniger düster und erinnert von der Stimmung her am ehesten an „Miasma“. Für Fans von THE BLACK DAHLIA MURDER ist „Abysmal“ natürlich absolute Pflicht, aber könnte vielleicht sogar Hörer begeistern, für die die Vorgänger zu „plump“ waren. Mit Sicherheit jedoch gehört es bereits jetzt zu den Highlights des Jahres 2015 des melodischen Eisens.
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