Tesseract - One

Review

Das Debütalbum dieser britischen Prog-Gruppierung ist nur vermeintlich ein schwerer, undurchlässiger Brocken. So unbefriedigt und stirnrunzelnd, wie man nach sich den ersten Durchläufen überfordert abwendet, so offenbaren sich nach und nach die Stärken des passender- und simplerweise „One“ betitelten Erstlingswerks. In der Kennenlernphase würde man sich vielleicht wünschen, die Band würde sich öfter trauen, in ausladender, epischer Atmosphäre zu verharren, und das hörbar von Größen wie DREAM THEATER beeinflusste musikalische Grundgerüst ein wenig zu straffen. Wenig später weicht dieser Zweifel einer nicht stillbaren, immer größer werdenden Zuversicht. Die technische Umsetzung ist brillant, die instrumentalen Details offenbaren nach einiger Zeit einen ziemlichen Reiz. Teilweise erinnert der wahnwitzige ADHS-Metal auch an MESHUGGAH, vielleicht an manche von Devin Townsends zahlreichen Betätigungsfeldern. Kurz gesagt: Die üblichen Verdächtigen in einem Topf.

Gesanglich orientieren sich die stärksten Momente von TESSERACT an A PERFECT CIRCLE oder dem letzten Meisterwerk der autralischen Senkrechtstarter KARNIVOOL, hin und wieder lassen sie ein wenig Spielraum für Aggression und punkten mit eher gebrüllten Vocals. Grundsätzlich bleiben die Songs jedoch sehr melodisch und kunstvoll, besonders der Opener „Lament“ und das sechsteilige „Conceiling Fate“ (bereits von einer vor drei Jahren veröffentlichten EP bekannt) wissen zu überzeugen. Wenn ihr könnt, hört euch mal „Acceptance“, den ersten Teil jenes 28 Minuten langen Monstrums an, und ihr wisst in etwa, wie der komplexe Sound von TESSERACT funktioniert. Gitarren, Schlagzeug und Bass bilden ein frickeliges, aber dennoch strukturiertes Fundament, was nur auf den ersten Blick bzw auf den ersten Hör paradox erscheint. Die im Hintergrund immer mal wieder zu vernehmende Hektik bildet den Grundbaustein für Daniels Gesang, der als Krone der gesamten künstlerischen Entfaltung eine Art Hülle darstellt, der die umtriebige Hyperaktivität der Musiker vor Entgleisung schützt und die Auswüchse auf engstem Raum zusammenhält. Wer Geduld beweist, der wird belohnt, mit tendenziell eher düsteren, aber nie einfarbigen Gebilden aus Schluchten und Hügeln, aus sanften Brisen und gewaltigen Stürmen. Licht und Schatten, Wildnis und meisterhafte Architektur. Zwar enthält vor Allem die neunminütige Schlussnummer „Eden“ auch ein paar Längen, lange sucht man jedoch nie nach dem Ausweg aus der kurz aufflammenden Tristheit. Die allermeisten Augenblicke dieses wundervollen Albums bestechen mit zahlreichen Ideen, tiefgreifender Emotion, künstlerischem Anspruch, wandeln auf dem bekanntermaßen schmalen Grad zwischen Genialität und Wahnsinn, zwischen Leichtigkeit und Bedrohung, zwischen Schmerz und Glückseligkeit, undurchdringlicher Schwärze und grellem, beißendem Licht. Mal geht es mit dem Volldampf einer nagelneuen und frisch geölten Achterbahn abwärts, mal verharren wir auch in luftiger Höhe und genießen die atemberaubende Aussicht.

„One“ ist sicherlich noch nicht das Meisterwerk der jungen Band, das wäre vermessen, da womöglich noch so etwas wie der ganz große, herausragende Hit fehlt, der eine große Moment, der über dem Gesamtschaffen thront. Den wird uns diese junge Ansammlung von Talenten aber sicher bald nachliefern. TESSERACT beweisen mit ihrem Debüt, dass sie bereit sind für ganz große Höhenflüge. „One“ ist, so weit lehne ich mich aus dem Fenster, nur die Spitze des Eisbergs. Schon jetzt eines der Debütalben des Jahres.

07.03.2011
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