System Of A Down - Toxicity

Review

Es ist erstaunlich, wie eng man zuweilen Musik mit realen Geschehnissen koppelt. Dass ich mir am Morgen des 11. September 2001 ausgerechnet die Platte eines Quartetts gebürtiger Armenier und Wahlamerikaner zulegte, die mit ihrer USA-Kritik nicht gerade hinterm Berg halten (sondern sie in etlichen Songtexten thematisieren), ist vielleicht nur ein Zufall gewesen. Dennoch bieten die abgedruckten Texte des Albums jederzeit Anlass zur kritischen Reflexion eines unüberdachten Hurra-Amerikanismus. Mehr noch jedoch als die Botschaft der vier Hollywood-Musicians hat es das musikalische Ergebnis in sich, wenn der skurrile Vierer antritt, seine Botschaft zu instrumentalisieren. Das schlagartige Songwriting wirkt oftmals unvermittelt und jäh, unglaublich vielseitig und durchdacht. Eiskalt berechnend prügelt Schießbüder John Dolmayan seine Teller und Tonnen, dominiert nur selten das Geschehen (dann in Form höllenhafter Blastbeats), brilliert durch Einfühlungsvermögen, verschmitzte Zurückhaltung in wissender Erwartung „seiner Stunde“ und durch Abwesenheit Drummer-typischen Geltungsdranges. Ebenso heiß-kalt wächst die meisterhaft produzierte Saitenarbeit an diese perfekte Karosserie an, wechselt von phlegmatischem Clean-Geplänkel (oft abrupt) in einen polternden Akkordsturm, um sich im nächsten Augenblick in gedämpfte Läufe und Flaggeolett-Tänzeleien zu zwängen, bis zur nächsten Eruption. Bezwinger dieses scheinbar unzügelbaren musikalischen Vollblüters ist zweifelsohne Sänger Serj Tankian, der der Band einerseits mit befristeter Tobsucht in Zeilen wie „Pushing little children with their fully automatics, they like to push the weak around“ mächtig die Sporen zu geben weiß und in zahlreichen originellen, expressiven Tonfällen (mit Unterstützung von Gitarrist und Co-Vokalist Daron Malakian) seine Texte verdeutlicht, andererseits jedoch in nahezu jedem Track sein erstaunliches gesangliches Vermögen melancholisch unter Beweis stellt. Letzteres gipfelt schließlich in dem Ausnahmetrack „Aerials“, der sich als durchweg euphonisches und vergleichsweise langsames Stück erheblich von den verbleibenden zumeist kurzen, zackigen Tracks abhebt. Insgesamt scheint „Toxicity“ eine Wandlung im Laufe seiner Spielzeit zu beschreiben: Schlagen der Opener „Prison Song“ und das überwältigende „Deer Dance“ in Tempo, Aggression und zynischer Provokation noch wie eine Bombe in die heile Welt, so werden gegen Ende der CD vermehrt leisere Töne angeschlagen, was jedoch nicht an Energie und Entschlossenheit der Band zweifeln lassen sollte. Mit ihrem Zweitling haben System of A Down eine phänomenale Sinfonie aus sämtlichen erdenklichen Ingredienzen moderner Hartmusik geschaffen: Aggression, Geschwindigkeit, Melodie und Ruhe, gehaltvollem Zynismus, hier und da einer beißenden Kontroverse zwischen Lyrics und Musik. Eine moderne Achterbahn zwischen Intelligenz und Emotion.

25.10.2001
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