„Shining“ – was für ein Albumtitel für die finnischen Trauerweiden SWALLOW THE SUN! Insbesondere, da uns die Band zuletzt mit dem gewaltigen Vorgänger „Moonflowers“ 2021 in tiefste, dunkelste Abgründe stürzte.
Es war tieftraurig, quälend und unendlich schwarz
Das komplexe wie intensive „Moonflowers“ war geprägt vom Tod der Musikerin Aleah Stanbridge, der Lebensgefährtin von Bandkopf Juha Raivio. Die ohnehin freudlose Atmosphäre war zusätzlich verstärkt durch die Isolation und Aussichtslosigkeit der Corona-Pandemie. Das Album stellte mit seiner Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, tieftraurigen Melancholie und unendlicher Schwärze den bisherigen Stimmungstiefpunkt der ohnehin stets bekümmerten SWALLOW THE SUN dar. Das Leiden insbesondere von Juha wurde fühlbar, hörbar, ja greifbar. Ein schwarzes Loch voller Qual und Emotion pur.
Im Nachgang betrachtet scheint das deprimierte Album eine Art Katharsis für die Finnen gewesen zu sein. Raivio ging durch die Hölle. Der Schmerz ist noch da (und wird wohl für immer bleiben), und natürlich ist auch „Shining“ melancholisch, traurig, düster. Aber anders. SWALLOW THE SUN steigen aus dem Abgrund auf.
„Shining“ zeigt SWALLOW THE SUN aus dem Abgrund aufsteigend
SWALLOW THE SUN wagen mit ihrem neunten Album „Shining“ Neuerungen. Die Finnen arbeiteten für das neue Album mit dem Grammy-nominierten Produzenten Dan Lancaster (u. a. BRING ME THE HORIZON, MUSE, BLINK-182, ENTER SHIKARI) zusammen, das Mastering erledigte Tony Lindgren (Fascination Street Studios). Das war so nicht unbedingt zu erwarten, produzierte doch Raivio selbst die letzten beiden Werke. Eine bewusste Abkehr von einer gewissen Routine. Dadurch klingt „Shining“ moderner, trockener und auch erwachsener. Leider klingt auch das Schlagzeug moderner will sagen synthetischer, steriler.
Gleichzeitig sind die neuen Songs kompakter und kürzer, nur noch drei der zehn Stücke weisen eine Spielzeit von über sechs Minuten aus. Auch in Sachen Komplexität wurde zurückgefahren, die Strukturen sind reduzierter. Der breit angelegte Sound erinnert stellenweise an moderne KATATONIA. Insgesamt wirkt „Shining“ zugänglicher, weniger komplex, ja kommerzieller, und, man mag es kaum schreiben – etwas heller. SWALLOW THE SUN, die in über 20 Jahren einige große Werke des Death Doom Metals erschaffen haben, verlassen zumindest teilweise alte Wege, um in neuen Sphären zu scheinen.
Tatsächlich haben sich die Finnen seit ihrem Bestehen beständig weiterentwickelt. Charakteristisch für SWALLOW THE SUN ist, dass es ihnen trotz einiger unterschiedlicher Ansätze immer gelang, ihr Gespür für Melodie, Dramatik und melancholische Atmosphäre beizubehalten, die Essenz ihres Reizes in einer Mischung aus Death Doom, Melodic Death und Gothic Metal zu wahren. Mit „Shining“, das etwas stärker in Richtung moderner Gothic Rock tendiert, gelingt das größtenteils auch. Und trotzdem hat man das Gefühl, dass sich SWALLOW THE SUN nicht nur einem größeren Publikum öffnen, sondern geradewegs in eine neue Ära stürzen. Bassist Matti Honkonen bezeichnet „Shining“ als ihr „Schwarzes Album“, da steckt viel Wahrheit dahinter. Exit night, enter light…
„Shining“ ist eine Art „Schwarzes Album“ für SWALLOW THE SUN
„Innocence Was Long Forgotten“ eröffnet die Reise in die erneuerten Klangwelten von SWALLOW THE SUN. Das Stück ist sehr eingängig, luftig und verzichtet auf harschen Gesang wie auf doomige Schwere. Getragen von sehr einnehmenden Hooklines, starke Melodien, die den Hörer umschmeicheln, dezente elektronische Elemente und der weibliche Gesang im Hintergrund sorgen für moderne Zugänglichkeit. Die Brücke in die eigene Vergangenheit schlägt das kraftvolle, schwere „What I Have Become“, ein Stück über Transformation und Wiedergeburt. Das, was man mal werden wollte im Gegensatz zu dem, wer man nun ist. Sind das auch autobiografische Züge in Bezug auf SWALLOW THE SUN als Band? Schwere, dunkle Gitarren, prägnante Riffs und Leads, Growls im Wechsel mit Klargesang, klare melancholische Melodien, äußerst eingängiger Refrain. Erinnert stellenweise an PARADISE LOST. „MelancHoly“ trieft geradezu vor, wie soll es auch anders sein, Melancholie. Die erreichen die Finnen durch teils härtere Passagen, die sich dynamisch mit auf Gesang und Klavier reduzierten, traurigen Abschnitten abwechseln.
Die Melancholie setzt sich mit dem kraftvoll treibenden wie melodischen „Under The Moon & The Sun“ fort. Hier trifft die Schwere der eigenen Geschichte auf die Sanftheit des Augenblicks. Sehr magisch und atmosphärisch ist der zweite Refrain, reduziert die Instrumente auf Klavier und Bass, was richtig funktioniert. Ebenso wie der dynamisch epische Anstieg zum großen Finale mit klarem Gitarrensolo und harschem Gesang. Noch mehr zur Sache gehen SWALLOW THE SUN mit „Kold“. Harsche Vocals, knackige Riffs, Triolen und Blastbeat-Ausbrüche, die Gitarrenarbeit steht hier stärker im Fokus, in Sachen Härte trotz melodischem Refrain die Ausnahme auf „Shining“.
Für Kontrast sorgt dann wieder der Gothic Doom im anmutigen, bedächtig langsam schreitenden „November Dust“ mit tiefer Stimme und dichten Melodien. Das sanfte, spärlich schwebende „Velvet Chains“ ist noch zurückhaltender, hier tritt das Klavier stärker in den Fokus, die Konzentration liegt auf einer Melodiefolge, die weibliche Stimme sorgt für Atmosphäre. Modern ausgerichtet ist die Trip-Hop-lastige Einleitung von „Tonight Pain Believes“, das Stück wandelt sich in Folge, auch hier ein sehr eingängiger Refrain, melancholische Atmosphäre, verstärkt durch die Screams im Hintergrund. Traditioneller tönen SWALLOW THE SUN mit dem inbrünstig bedrohlichen, bitteren „Charcoal Sky“. Wuchtig schwer, harscher Gesang, prägnante Riffs und Klargesang im Refrain.
Das Finale des Albums gibt der epische Titelsong. Mit fast neun Minuten Spielzeit ein echter Longtrack und damit die Ausnahme auf „Shining“. Das spannende, teils progressive Stück ist dynamisch gestaltet, hier treffen sanfte, sphärische Passagen auf Bombast bis zu harschen Ausbrüchen, die Kontraste sorgen für stete Spannung. Auch hier sind es wieder die sich aufbauenden, einnehmenden Melodien wie auch der ausdrucksstarke Gesang, die den Song strahlen lassen. Atmosphäre pur und wie ein katharische Reise in die eigene Vergangenheit.
„Shining“ bringt Veränderungen, die nicht nur positiv sind
Die bewusste Straffung und Reduzierung der Stücke, auch die stärkere Betonung der ruhigeren Passagen und die Öffnung zur Moderne, kostet SWALLOW THE SUN etwas Abwechslung, Durchschlagskraft und Kontrast. Andererseits behalten die Finnen ihre melancholische, düstere Atmosphäre bei und insbesondere die fantastische Gitarrenarbeit wie auch der gefühlsbetonte Gesang setzen immer wieder Ausrufezeichen. „Shining“ präsentiert eine deutlich zugänglichere Version von SWALLOW THE SUN, die trotz der Veränderungen ihre eigene Identität behalten. Bei aller Eingängigkeit sind die Emotionen spürbar – der Schmerz klingt wunderbar!
Leider langweilig. Schade.
Leider geil. Prima.