Sunn O))) & Ulver - Terrestrials

Review

Im Prinzip gibt es für eine Rezension einer SUNN O)))-Veröffentlichung keinen treffenderen (und überflüssigeren) Einstieg als „Diese Platte braucht Zeit!“. Erstens ist „Terrestrials“ jedoch kein SUNN O)))-eigenes Werk, sondern eine Kollaboration mit den norwegischen Ausnahme-Künstlern ULVER; zweitens hat der geneigte Hörer angesichts der drei Titel mit einer Gesamtspielzeit von gut 36 Minuten gar nicht sooo viel Zeit; und drittens ist der oben zitierte Satz, den ich hiermit ganz ausdrücklich auf „Terrestrials“ anwenden möchte, nicht streng im Sinne sonstiger SUNN O)))-Rezensionen zu sehen. Wie aber dann?

Zunächst gilt „Diese Platte braucht Zeit!“ wohl vor allem für die beteiligten Künstler: Die Klänge, die auf „Terrestrials“ zu hören sind, stammen aus dem Jahr 2008, als die SUNN O)))-Musiker Stephen O’Malley und Greg Anderson nach ihrem Auftritt auf dem Osloer Øya-Festival einen Abstecher in das Crystal Canyon-Studio ULVERs machten, um dort – gemeinsam mit diesen – improvisierte Klang-Ungetüme aufzunehmen. Diese haben nun beinahe sechs Jahre zusätzlicher Aufnahmen (von vereinzeltem Schlagwerk über Trompeten, Geigen, Bratschen und Rhodes bis hin zu Gesangslinien Krystoffer G. Ryggs) und weiterer Bearbeitungen hinter sich und erblicken nun über Southern Lord das Licht der Welt.

…und mit dieser Floskel wären wir nun (endlich!) im Thema. Der Titel „Terrestrials“ ist nämlich gleichzeitig ein wenig irreführend und unheimlich treffend: Zentrales Motiv ist nämlich unser Zentralgestirn (welches auch auf dem Cover abgebildet ist – als gefilterte Aufnahme, die nur das Hα-Licht [Balmer-Serie des Wasserstoffs] bei 656.28 nm zeigt). Was bei SUNN O))) bereits im Namen steckt, ist auch für ULVER angesichts der Entstehungsgeschichte der drei Stücke nicht weit entfernt – „Shadows Of The Sun“ war schließlich 2007 erschienen. Tatsächlich weckt insbesondere der erste Titel „Let There Be Light“ in seinen beinahe zwölf Minuten Assoziationen an genanntes Album, genauer an den Titelsong und „Let The Children Go“: In Klang gegossene Schwüle, flirrende Bilder der aufgehenden Sonne erscheinen vor dem geistigen Auge – unterstützt durch das tolle Trompetenspiel Stig Espen Hundsnes‘. Es überrascht natürlich nicht, dass „Let There Be Light“ weniger „Struktur“ besitzt als die Songs, die ich gerade zum Vergleich herangezogen habe – die Nähe ist atmosphärischer Natur.

Nachdem mit „Let There Be Light“ der Sonnenaufgang eine klangliche Entsprechung gefunden hat, geht die Sonne mit „Western Horn“ alsbald wieder unter. Wie schon der Opener ist dieser mit seinen fast zehn Minuten Spielzeit in erster Linie Klang – und erst in zweiter Instanz Song. Was meine ich damit? Auf den ersten Blick mögen „Let There Be Light“ und „Western Horn“ nach statischem, monolithischem Ambient klingen – doch die Monolithen weisen feine Risse, eine feine Dynamik auf, die sich in der Balance zwischen vermeintlichem Standbild und vielen vielen Details entfaltet. Selbst hier findet sich also der (wasserstoff)rote Faden – oder um eine Anekdote von Elizabeth Ascombe zu zitieren: „[Ludwig Wittgenstein] begrüßte mich einmal mit der Frage ‚Weshalb sagen die Leute, es wäre ganz natürlich zu denken, dass die Sonne die Erde umläuft, statt dass sich die Erde um ihre eigene Achse dreht?‘ Ich antwortete: ‚Ich vermute, weil es so aussieht als würde sich die Sonne um die Erde bewegen.‘ ‚Nun‘, fragte er, ‚wie hätte es denn ausgesehen, wenn es so ausgesehen hätte als würde sich die Erde um ihre Achse drehen?'“

Auf- und Untergang der Sonne sind nun klanglich umschrieben – was bleibt da noch für „Eternal Return“? Eben dies. Der unaufhörliche Wechsel aus Tag und Nacht, hier in etwas greifbarere (sprich: terrestrischere) Klänge gegossen: Verhallte Retro-Gitarren, wunderbare Rhodes, tolle Streicher – ein wenig klingen die ersten Minuten des Vierzehneinhalb-Minuten-Stückes in ihrer Melancholie wie eine Vorahnung auf „Messe I.X – VI.X„. Als nach gut siebeneinhalb Minuten der Gesang Krystoffer Ryggs einsetzt, sind SUNN O))) & ULVER kurzzeitig „geerdet“. Die Klangcollagen treten zu Gunsten von Orgelklängen und der überraschend unmittelbar klingenden Stimme in den Hintergrund, Rygg singt in gewohnt charismatischer Weise einen an ägyptische und griechische Mythologien (angesichts des Album-Themas kein Wunder) Text, begibt sich dabei melodisch in „Blood Inside„-Gefilde. Doch der „menschelnde“ Moment ist nur von kurzer Dauer, die Nacht kehrt mit beeindruckenden Tiefen und bombastischem Hall zurück. Die „Terrestrials“ sind immer nur kurzzeitige Besucher eines nahezu ewig andauernden Schauspiels – und dieses Schauspiel braucht keine Zuschauer, das wird dem Hörer in den letzten Minuten von „Eternal Return“ klar.

Das Beeindruckende an SUNN O))) & ULVERs Kollaboration ist, dass sich all das oben Beschriebene nicht einfach erschließt – „Diese Platte braucht Zeit!“. Zeit, um die ersten beiden Klangcollagen wirken zu lassen, sie als Beginn des Klimax zu verstehen, der „Eternal Return“ ist. Zeit, um als Hörer den roten Faden für sich herauszuarbeiten, ihm zu folgen. Zeit, um „Terrestrials“ als das zu erkennen, was es in allererster Linie ist: Klang, nicht Musik im eigentlichen Sinn. Wer aber diese Zeit investiert, wird sich reichlich belohnt wiederfinden. Neugierige können sich „Terrestrials“ vollständig auf der zugehörigen Bandcamp-Seite im Stream anhören.

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09.02.2014

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