Such A Surge - Under Pressure

Review

Was mich dazu gebracht hat, mal wieder intensiver über die Braunschweiger Crossover-Band SUCH A SURGE nachzudenken, war ein kleines Erlebnis im Rahmen eines Konzertes, das ich in Darmstadt besucht habe und das eigentlich nichts mit Metal zu tun hatte. Es war ein Gig des US-amerikanischen Rappers Open Mike Eagle, der auf Tour zur Promotion seiner aktuellen EP „What Happens When I Try To Relax“ (empfehlenswert übrigens, wer über den Tellerrand blicken möchte sollte das Teil antesten) eben auch in Darmstadt halt und den Abstecher dorthin wert gemacht hat.

Der Stein des Anstoßes

Im Vorprogramm trat jedoch ein furchtbarer Deutschrapper namens Form auf, dessen Darbietung von „Sozialkritik“ die wohl prätentiöseste, unnötigste und einfach nur schlechteste Dreiviertelstunde gewesen ist, die ich seit sehr langer Zeit auf einem Konzert verschwendet habe – und ich habe mir schon Auftritte von Bands wie AMARANTHE und SERUM 114 reingezwungen. Die Message von Form, so denn eine vorhanden war, ist auf eine derart schamlose und billige Art und Weise oberflächlich verpackt worden und ohne Druck geschweige denn Charisma einfach nur dahingerotzt worden, dass man zu keiner Zeit den Eindruck hatte, dass hier irgendwo Fisch oder Fleisch dahinter steckten. Die Spitze des (Sch)Eisberges war dann noch seine Beat-Producerin, die einfach nur am PC gesessen und auf Play gedrückt hatte – technische Probleme mit inbegriffen.

Was mich in dieser Hinsicht an SUCH A SURGE denken ließ, war einerseits eben diese Angewohnheit, in den Lyrics den moralischen Zeigefinger raushängen zu lassen, im Falle des vorliegenden „Under Pressure“ oft im Zeichen von „Individualismus“. Diese rebellische Attitüde war zugegeben das, was mich seinerzeit zur Band gebracht hat. Ich kann leider nicht wirklich sagen, dass der lyrische Kern der Band sonderlich gut gealtert ist, zumal die Braunschweiger durch Repetition ihrer Themen selbst etwas oberflächlich daherkommen. Und am schmerzhaftesten wird das bei „Gegen den Strom“ klar, das in gleich zwei Versionen vertreten ist.

SUCH A SURGE sind textlich etwas gealtert

Insofern muss man etwas Cringe und Gepose abkönnen, bekommt dann aber – und das ist das Zweite und deutlich Positivere, was mich an SUCH A SURGE, speziell an „Under Pressure“ denken ließ – auch ein bockstarkes, knallhartes Crossover-Album mit enormer Hardcore-Kante serviert. Das hat textlich zwar eben etwas nachgelassen, oder zumindest ist Unsereins dem edgy Conscious-Gepose langsam entwachsen. Die Platte macht das jedoch mit ihrer Energie locker wieder wett, die von ganz allein ein Gefühl von Dringlichkeit erzeugt – etwas, das dem Deutschrap im Allgemeinen und Form im Speziellen auf fast ganzer Linie fehlt.

Zudem etablierte das Album auch eines der Trademarks der Band: die mulitlinguale Darbietung. Tatsächlich ist ein Großteil der Texte auf dem Album in englisch gehalten, wobei der deutschen Sprache auf den folgenden Platten mehr Bedeutung zukommen würde. Gelegentlich rappt Michel Begeame auch auf französisch, einmal zum Beispiel im einleitenden Stampfer „I’m Real“, der alle Sprachvarianten der Band enthält, einmal noch beim ruhigeren „Pour Toujours“. Während die Band in den folgenden Alben mehr und mehr kommerziellere Rock- und Metal-Elemente in ihren Sound einbinden würde, ist „Under Pressure“ abgesehen von eben diesem ruhigeren Track sowie dem jazzigen „Ich bin ein Träumer“ deutlich näher an klassischen aber schon recht metallischen Hardcore-Gewässern gebaut.

„Under Pressure“ hat aber immer noch ordentlich Druck auf dem Kessel

Und kaum etwas deutet so offensichtlich darauf hin wie die pumpenden, ruppigen Riffwalzen sowie die zahlreichen Gangshouts, welche die Hooks so richtig schön ins Blut fahren lassen, seien es die „Pressure“-Rufe im Titeltrack oder die „Surge“-Rufe in „S.U.R.G.E.“. Da möchte man doch gleich die Faust in die Höhe recken und mitmachen. Und natürlich ist da der drückende Sound, dank dem die Songs mit ordentlich Dampf unter dem Kessel nur so aus den Boxen knallen. Oliver Schneider und Michel Begeame reimen im Tandem und ergänzen sich dabei wunderbar, vor allem wenn sie im Wechselspiel rappen wie im letzten Vers vom Titeltrack.

Auch das Songwriting ist sehr abwechslungsreich gehalten mit einigen interessanten Tempowechseln, die den Tracks durch ihre schwere, metallische Natur zudem mehr Gewicht verleihen. Man spürt förmlich die Trägheit der Songs, zum Beispiel bei den flotteren Passagen von „Schatten“, so gut haben SUCH A SURGE die eigene Heaviness eingefangen. Und wenn diese Tracks dann ausgebremst oder beschleunigt werden, dann merkt man das als Hörer richtig, erstaunlicherweise etwas, was sich Metal-Bands viel zu selten zu Nutze machen. Und natürlich spielen auch zeitgenössische Hip Hop-Einflüsse eine Rolle, die unter anderem in „S.U.R.G.E.“ mit einem Boom Bap-artigen Rhythmus konkretisiert werden.

Mit oder ohne Nostalgiebrille?

Ich gebe es gerne zu: „Under Pressure“ hat für mich einen nostalgischen Wert. Ich kann die Schwächen der Platte kaum leugnen, kehre dennoch immer wieder zu ihr zurück, einfach weil SUCH A SURGE hier richtig hungrig geklungen haben, Charakter zeigten und auf Ecken, Kanten und Ungeschliffenheiten geschissen haben. Pute Attitüde, pures Charisma.

Der Hardcore-Spirit der Platte reißt noch immer mit und selbst die unfreiwillig komischen Momente hier und da sind dank des zwingenden Sounds schnell vergeben. Die Band sollte sich darauf hin natürlich allmählich in Richtung eines kommerzielleren Crossovers bewegen. Und auch wenn ich ihrem vorläufigen/endgültigen Abschiedsalbum „Alpha“ gegenüber mittlerweile etwas wohlgesonnener bin, so hatte die Band nach „Under Pressure“ vermutlich kaum mehr diesen Sinn für Aggressivität, Rohheit und Rotzigkeit inne gehabt.

In diesem Sinne: „Springt über euren Schatten“.

28.11.2018

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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