Die SUBURBAN SAVAGES
bieten dies‘ Jahr Riesiges.
Prog mit lock’rem Sommer-Flair
kommt mit Tief‘ und Spaß daher.
Drum steh‘ ich nun und kann nicht anders
und konstatiere: „Jep, das kann was.“
Lang gegrübelt, lang gedacht.
„Vielleicht die Neun, vielleicht die Acht?“
Oft gehört und kontempliert,
doch endlich wird sie rezensiert.
Und dann blieb ich doch schließlich steh’n
bei der Höchstpunktzahl – der Zehn!
Was die Platt‘ besonders macht?
Reiflich drüber nachgedacht
hab‘ ich und biete folgend schon
die reimlos‘ Plattenrezension.
Ein Prog-Album zum Schwärmen?
Verzeiht mir diese Einleitung, aber irgendwie musste ich passend in diesen Textkörper einleiten, in dem ich beschreibe, warum mich diese Platte, das neue Album „Demagogue Days“ der SUBURBAN SAVAGES, so sehr ins Schwärmen bringt. Das mag für den ein oder anderen wenig nachvollziehbar sein, weshalb die untenstehende Note möglicherweise nur für mich, nicht für den allgemeinen Gaumen repräsentativ ist. Aber erlaubt mir bitte dennoch, meine Begeisterung für das neue Werk der Norweger zu teilen. Wer weiß, vielleicht stecke ich den ein oder anderen sogar damit an? Aber genug aus der Ich-Perspektive geschwafelt, los geht’s:
Wenn man davon ausgeht, dass typischer, skandinavischer Prog immer ein bisschen die für den Norden typische, melancholische Erhabenheit ausstrahlt, dann könnte das die SUBURBAN SAVAGES heuer zu so etwas wie einen Indie-Prog-Act machen. Eine grundlegende Melancholie ist zwar im nun dritten Album „Demagogue Days“ vorhanden, aber insgesamt wirkt der Output von Trond Gjellums Rasselbande doch etwas aufgeräumter und spritziger, als jetzt beispielsweise die Druidenkunst von JORDSJØ. Das neue Album der Norweger zeichnet sich allerdings nicht nur durch einen Wechsel im Kernlineup aus, durch den nun u. a. Mari Lesteberg als Keyboarderin in die Band gefunden hat.
Die SUBURBAN SAVAGES haben ihren Frühjahrsputz erledigt
Klangtechnisch nämlich scheinen die Dame und die Herren ihren Frühjahrsputz vorgezogen zu haben. Die wilde Experientierfreude des Vorgängers „Kore Wa!“, die mitunter starke Zeuhl-Einflüsse wie seinerzeit im entsprechenden Titeltrack hervorgebracht hat, ist praktisch verschwunden. „Demagogue Days“ füllt zwar dessen progressive Fußstapfen aus, bewegt sich jedoch etwas entschlossener in eine andere Richtung, namentlich lockerer, verspielter und teilweise erfrischend heiterer Art Rock. Letzteres bringt auch diese oben erwähnten Indie-Vibes in den Sound hinein, da „Demagogue Days“ einfach so ungezwungen und lässig, teilweise geradezu sommerlich inszeniert ist.
Wer bei dem Albumtitel an ein politisches Konzept denkt, denkt nicht unbedingt in die falsche Richtung, was den Inhalt des Albums angeht. Allerdings gestaltet sich die zentrale Thematik des Albums dann doch etwas abstrakter, denn es geht hier eher um Kommunikation respektive den Mangel ebendieser an sich. Die Beobachtungen rangieren dabei vom Makroskopischen, i. e. Politik, bis hinein in die bandinterne Kommunikation während der Pandemie, speziell in Anbetracht der Tatsache, dass „Demagogue Days“ von der Band ausgearbeitet worden ist und nicht von Trond allein zusammen getüftelt wurde. Es wird auf gutdeutsch ausgedrückt also teilweise richtig meta.
Es wird auf „Demagogue Days“ teilweise politisch, teilweise aber auch ziemlich meta
Das kann in die Hose gehen, wenn diese Art der Metatexte allzu cheesy geraten. Und schnell landet man da bei etwas, was wie eine stümpferhafte bzw. humorlos inszenierte Parodie anmutet, bei welcher der Witz jener ist, dass die Akteure ständig ihrerselbst bewusst sind und das dem Betrachter konstant aufs Brot schmieren. Hier auf „Demagogue Days“, genauer den ersten beiden Tracks „Aroused And Confused“ und „Taciturnity“, entschärft die hervorragende Instrumentierung sowie der unbekümmert intonierte, mehrstimmige Gesang jegliches Cringe-Potential.
Es mag am Anfang ein bisschen billig wirken. Über die Schwierigkeit, ein Thema für den eigenen Song zu finden, zu singen, klingt erstmal wie eine aus der Verlegenheit heraus entstandene Notlösung. Doch das ist in diesen Tracks einfach so gut umgesetzt, dass sich diese Zweifel schnell verflüchtigen. Der Opener „Aroused And Confused“ beginnt wie ein entspannter Prog-Jam á la CAMEL, in dem sich gleich die markanten, schneidenden Synthesizer wiederfinden, die man zugegeben nicht gern haben muss, die dem Verfasser der Zeilen auch erst im Laufe der Zeit ans Herz wachsen mussten.
SUBURBAN SAVAGES tarnen ihren genialen Sound mit unscheinbarer Bescheidenheit
Hieran lässt sich die Magie hinter den Songs „Demagogue Days“ wunderbar erklären. Der Song, eingeleitet durch das Zurückspulen einer Tonspur, wirkt auf den ersten Blick so ein bisschen unscheinbar und hausbacken, ein bisschen wie Radio-Prog mit nicht zu dick auftragenden Gitarren. Aber unter dieser Oberfläche steckt einiges an kompositorischer Grazie und Musikalität. Und der mehrstimmige Gesang, der die Zeilen transportiert, geht einfach so elegant runter wie Öl. Die Hook bohrt sich folgerichtig direkt in den Kopf des Hörers hinein mit ihrer irgendwie parallel laufenden Struktur, dabei weiterhin in der Thematik verhaftet bleibend und so eingängige Zeilen enthaltend wie:
I can take it, but I can’t make it.
I can’t fake it, so rearrange it.
Dann so um den Mittelpunkt des Tracks herum folgt ein geschmeidiger Harmoniewechsel bei gleichbleibender Lead-Melodie, der beim Verfasser dieser Zeilen jedes Mal aufs Neue eine Gänsehaut verursacht. Der Song biegt danach passenderweise von Dur-dominierten Melodien in eine etwas „molligere“ zweite Hälfte ab. Ein perlendes Klavier trägt die Leads sanft dahin, doch plötzlich türmen sich voluminöse Synthesizer vor dem Hörer auf, zwingen ihn ehrfürchtig in die Knie und leiten in einen Uptempo-Part über, der die Hook in einen deutlich hektischeren Kontext einbettet.
Zwischen glasklarer Hörbarkeit und songschreiberischen Glanzleistungen
„Taciturnity“ eröffnet zunächst nur mit einem Schlagzeug, das einen schnaubenden und keuchenden Rhythmus, so eine Art klappernden Groove im 11/8-Takt [ich hoffe, dass ich mich nicht verzählt habe] spielt. Der Beat wird dann von der übrigen Instrumentierung eingeholt, während es im Hintergrund noch ein bisschen weiter klappert und scheppert. Die Melodieführung wirkt zunächst etwas ominöser als auf dem vorangegangenen Track, doch es dauert nur etwas über eine Minute, bis Dur-Harmonien wie Sonnenstrahlen durch die geschlossene Wolkendecke in den Song reinfallen.
Dazu ertönt wieder dieser wunderbare, mehrstimmige Gesang, diesmal unter stärkerer Einbindung von Mari Lesterbergs sanfter und höchst angenehmer Stimme. Wieder transportiert der Gesang die Lyrics über die Schwierigkeiten des Textens gekonnt und ohne jemals lächerlich zu wirken. Die Lyrics sind zunächst in einen lediglich vom Bass und einigen verhaltenen Klangtupfern getragenen 5/4-Takt eingefasst. Doch dann legt sich ein Tango-artiger Beat darunter und bringt den Song deutlich direkter nach vorne, ohne den Grundrhythmus zu verändern. Und das geht der Band einfach nur sahnig von der Hand, ebenso wie die jubilierenden, entfernt FLOYDschen Gitarrenleads, die sich zwischen die einzelnen Strophen schalten.
Unbekümmerter Retro-Prog – Balsam für die COVID-geschundene Seele
Jeden Song der Platte so ausführlich abzuhandeln würde den Rahmen dieser ohnehin schon überlangen Rezension vermutlich endgültig sprengen. Daher sei nur kursorisch auf die weiteren, am laufenden Band aufeinander folgenden Highlights der Platte hingewiesen. Der Titeltrack wirkt anfangs, ähnlich wie der Opener, ein bisschen unscheinbar, die einleitenden Synth-Leads muten sogar fast ein bisschen albern an. Der Song wird aber einfach so unfassbar charmant und locker dargeboten, während die Hook dauerhaft im Kopf hängen bleibt. Kompositorisch nicht ganz so gewitzt wie die beiden vorangegangenen Tracks wechselt die Thematik hier aber ins Gesellschafts- bzw. Medienkritische – und damit ins textlich Gewitzte. Und auch das geht der Band dank stilsicherer Federführung hervorragend von der Hand.
„Krystle Fox“ ist das erste Instrumental des Albums und bietet verträumte Melodien dank warmer Synthesizer und perlender, angezerrter Gitarren. Die Intensität des Tracks schwillt dann um den Mittelpunkt der Spielzeit herum an, ähnlich wie man das sonst im Post-Rock vermuten würde, und lässt ihn ziemlich bombastisch ausklingen. „Iconoclast“ ist ein ziemlich hektischer Song, der in den durch Synths angeleiteten Instrumental-Passagen mitunter starke CAMEL-Einflüsse in sich trägt. Der Gesang ist entsprechend deutlich animierter ausgefallen, hat fast was von der klassischen, britischen Schrulligkeit vom Schlage der frühen Gabriel-GENESIS inne. Und diese melodiösen Gitarrenleads zum Ende hin setzen dem noch einmal das Sahnehäubchen auf.
Ein feinsinniges Gespür für Atmosphäre und Melodien sorgt immer wieder für Gänsehaut
„Let’s Talk“ ist ein kurzes, atmosphärisches Intermezzo mit wortlosem Gesang, dem sich „Under Mirrored Skies“ anschließt. Der Song wird durch trocken hallende und nur ganz leicht angezerrte Palm-Mute-Riffs eingeleitet, die im weiteren Verlauf wieder aufgegriffen werden und mitunter auf schräge, jazzige Abwege geraten. Der Song selbst trottet stoisch im 7/4-Takt dahin und weist die vielleicht traditionellste Strophe-Refrain-Struktur des Albums auf. Als kleines Hallo Wach! schieben SUBURBAN SAVAGES einen ziemlich treibenden Uptempo-Part ein, der ordentlich ins Mark geht. Die abschließende Hook gerät dann deutlich atmosphärischer und bringt den Song zu einem stimmungsvollen Ende.
Den Abschluss der Platte macht deren zweites und entsprechend letztes Instrumental, „The Silence Afterwards“. Wieder sind es leicht verträumte Synth-Melodien, die begleitet von einem irgendwie lateinamerikanisch anmutenden Beat [könnte ein langsamer Mambo sein] unter die Haut gehen. Doch dann setzt der Rest der Instrumente wieder ein für das sanft rockende Finale, wiederum mit Gänsehaut-Faktor 11. Der Track klingt dann mit dem einleitenden Beat aus und endet mit dem gleichen Sample eines Tonbandgerätes, mit dem die Platte auch begonnen hat. Mit eingeschalteter Repeat-Taste springt das Album damit sogar ziemlich direkt und nahtlos zu ihrem Ausgangspunkt zurück.
Chapeau, SUBURBAN SAVAGES!
Dieses Album ist schlicht und ergreifend fantastisch. Gerade für unsereins tun die sommerlichen Vibes, die von „Demagogue Days“ ausgehen, in diesen frustrierenden Zeiten gut und sind Futter für die COVID-geschundene Seele. Die SUBURBAN SAVAGES finden praktisch durchgehend die richtigen Worte und die richtigen Noten, um das Album auf konstant hohem Niveau zu halten. Und sie haben es irgendwie geschafft, dem Ganzen dieses tagträumerische, unbekümmerte Exterieur zu verpassen, wodurch die Platte so gut ins Ohr geht, dass man direkt in den Sound hineinfindet.
Und sämtliche progressive Kniffe sind einfach so elegant und subtil hier eingebettet, dass man als Otto-Normal-Musikkonsument damit zu keinem Zeitpunkt erschlagen wird, im Gegenteil: Sie belohnen aufmerksame Hörer, drängen sich weniger progressiv bewanderten aber nicht nervtötend auf. Folglich kann man den Norwegern zu „Demagogue Days“ nur gratulieren, ein Album, das nur auf den ersten Hör unscheinbar wirkt, mit jedem weiteren Hördurchlauf jedoch an Größe gewinnt. Und das haben die SUBURBAN SAVAGES geschafft, ohne sich mit technischen Sperenzien zu sehr zu überschlagen oder ihre Musik zu straff einzuschnüren. Das Album ist zwar tadellos eingespielt, lässt aber jederzeit ausreichend Luft zum Atmen. Und kein Song überschreitet die Schmerzgrenze, was die Spielzeit angeht.
Chapeau!
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