Strapping Young Lad - The New Black

Review

Manchmal geht man über Jahre an Genies vorbei. Das ist schon ein komisches Gefühl. Irgendwo da draußen gibt es Hunderte von Menschen, Büchern, Filmen, die die ultimative Bereicherung für mein Leben wären. Man müsste sie nur kennen.
So ähnlich ist es auch mit STRAPPING YOUNG LAD. Man kennt den Namen, man hört Leute darüber reden – aber die Musik hat man noch nie zu Ohren bekommen. Glücklicherweise hat sich das geändert, zehn Jahre zu spät allerdings – hätte ich diese Band 1995 bei ihrem Debut entdeckt, wäre meine komplette musikalische Sozialisation vielleicht anders verlaufen.

„The New Black“ ist derart innovativ, dass mir bei den ersten Durchläufen wirklich die Kauleiste Richtung Erdmittelpunkt geklappt ist. Mit einfachen Stilbezeichnung wie „Extreme Metal“ lässt sich so eine Platte schon kaum noch beschreiben. Viel eher wäre etwas wie „Meta Metal“ angebracht, so blöd das im Grunde klingt. Devin Townsend und seine technisch perfekten Bandmitglieder (u.a. Gene Hoglan, der an den Drums ein Technikfest ohne Vergleich abfeiert) verwursten Elemente aus allen Richtungen intensiver Musik und schaffen es gleichzeitig, das eine oder andere Klischee durch den Kakao zu ziehen. „Far Beyond Metal“ enthält beispielsweise einige mit gehörigem Augenzwinkern vorgetragenen Power- und Epic-Metal-Passagen, die die Kapelle höchstselbst anschließend niederknüppelt. Auch Hardcore-Anleihen, die allerdings weiter führen als in handelsüblichem Metalcore, finden in einigen schmissig-brachialen Songs ihren Platz. Alles andere lässt sich stilistisch nicht anders als mit „Metal!“ bezeichnen – aber immer mit subtilem Humor, riesig viel Spielfreude und nackenbrechenden Melodien.

Allerdings wären STRAPPING YOUNG LAD nicht STRAPPING YOUNG LAD, wenn sie nicht auch diesmal über alles, was sich Metal schimpft, in den meisten Belangen hinauswachsen würden. Ihre Riffs sind brutaler als Death Metal, der Gesang könnte statt aus einer theoretisch aus zehn Kehlen stammen (von an FEAR FACTORY erinnernden Cleanvocals bis zum fürchterlichsten Gekreische ist alles dabei), die Elektronika (darunter der berühmte Subbass, der jede Box zum Zittern bringt) sind zielsicherer als in allen Electrometal-Kapellen der westlichen Hemisphäre eingesetzt und die Produktion ist dermaßen High-End, dass ich deren wahre Qualität mit meiner billigen Kompaktanlage vermutlich gar nicht annähernd erfassen kann. Zwischen dem ganzen Gewitter zeugen kleine Spielereien mit Saxophon und Flöten, Horrorsynthesizer und dergleichen davon, wie innovationsgewillt Devin Townsend ist.

Vermutlich ist es sehr schwer, jedes Detail dieser fantastischen Platte auszumachen und zu beschreiben. Ich kann nur empfehlen, sich wieder und wieder damit auseinander zu setzen. Es steckt so viel mehr Emotion, Technik und einfach geile Musik in „The New Black“ als in den meisten Metalalben dieser Welt, und das meine ich wirklich ernst. Man muss schon ein wenig offenherzig dafür sein und darf sich nicht an Schubladen festklammern. Wenn man das zu leisten bereit ist, hat „The New Black“ eine Menge zu geben.

31.10.2006
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