Steve Hackett - At The Edge Of Light

Review

Dass Steve Hackett einer der ganz großen Gitarristen des klassischen, britischen Progs ist, dürfte jedem bekannt sein, für den GENESIS mehr als nur die Vorstufe von Phil Collins‘ Solokarriere gewesen sind. Seien es seine elegischen, verträumten Soli der Marke „Firth Of Fifth“ oder seine etwas heftigeren, offensiver rockenden Ausbrüche á la „Musical Box“ – diese Facetten haben ihn als Bestandteil des klassischen GENESIS-Line-ups auf die progressive Bildfläche katapultiert, wo man jene Band als Prog-Hörer auch am liebsten in Erinnerung behält.

Steve Hackett betreibt nicht nur die GENESIS-Nachlassverwaltung

Man muss ja nicht mal selbst so tief schürfen, denn Steve Hackett selbst erinnert nur zu gerne an diese Zeiten, seien es seine Live-Shows, in denen er regelmäßig eben jenes Kapitel seiner Karriere musikalisch wieder aufgreift, oder eben seine retrospektiven Veröffentlichungen, die ebenfalls unter dem vielsagenden Banner „Genesis Revisited“ stehen und – zumindest was den Inhalt per se betrifft – halten, was sie versprechen. Natürlich funktionieren Songs wie „Watcher Of The Skies“ ohne Peter Gabriels ikonische Stimme nur bedingt, aber dennoch weiß Hackett, dieses Erbe mit genug Würde – vor allem live – zu vertreten.

Da ist es manchmal schon erstaunlich, dass er noch Zeit findet, sich originellem Material zu widmen und dieses zu veröffentlichen. Doch gerade die vorangegangenen Solo-Platten „Wolflight“ und „The Night Siren“ haben gezeigt, dass Hackett auch als Songschreiber immer noch ordentlich was auf dem Kasten hat. Markante Merkmale neben seiner Gitarre sind dabei wiederkehrende Folk- und Weltmusik-Einflüsse als musikalischer Ausdruck kultureller Offenheit so wie der Hang zum Bombast. Gerne wird auch mit einem Hauch Mystik, wahlweise auch in Kombination mit Romantik, nachgewürzt, was uns einen der größten, modernen Hackett-Songs „Love Song To A Vampire“ beschert hat.

Auch veröffentlicht er große Solo-Alben

Mit dem klassischen Prog seiner einstigen Band hat gerade sein neuzeitlicher Backkatalog also nur noch wenig gemein. Seine schwelgerischen Gitarrenläufe bleiben der Anker, der den Sound noch in Ansätzen mit GENESIS verbindet, doch ansonsten hat sich Steve Hackett auf seinen Solo-Werken davon weitestgehend freigeschwommen. Der Schwerpunkt und Reiz neuerer Hackett-Veröffentlichungen bildet also eher der Mix aus Folk Rock, Art Rock, Hard Rock und vielschichtigen, sinfonische Arrangements, mit dem er schlicht und ergreifend ästhetisch höchst ansprechende Musik macht, dabei nur gelegentlich ins Kitschige hinein gerät.

Ein Wanderer zwischen den musikalischen Welten –
2018 © Tina Korhonen/ www.tina-k.com

Und nun folgt zwei Jahre nach „The Night Siren“ das neueste Werk „At The Edge Of Light“, das dieser Tradition in fast allen Punkten treu bleibt, mit einer wesentlichen Ausnahme: Dieses neue Album ist in seiner Gesamtheit deutlich runder, stimmungsvoller und konsistenter, gleichzeitig aber auch progressiver und abenteuerlustiger ausgefallen. Es nimmt sich die Rosinen aus den vorangegangenen Werken Hacketts heraus und erschafft hieraus ein mitreißendes, klangliches Erlebnis mit dem vertrauten Signatur-Sound von Hackett, der sich diesmal wieder mehr von seiner rockigeren Seite zeigt.

„At The Edge Of Light“ ist inhaltlich und musikalisch gehaltvoll

Dabei beginnt das Album – zugegeben etwas langatmig – mit den verträumten, leicht orientalischen Klängen, wie man sie von Hackett mittlerweile gewohnt ist und die im weiteren Verlauf noch einmal von „Shadow And Flame“ wieder aufgegriffen werden. Das Intro „Fallen Walls And Pedestals“ leitet in das folkige „Beasts In Our Time“ über, das wieder dieses leicht Mystische von „Love Song To A Vampire“ mitbringt, gepaart mit Hacketts schwelgerischen Gitarre, und im weiteren Verlauf nahtlos in einen progressiv rockenden Abschluss mündet.

Obendrauf birgt der Song noch eine politische Relevanz, die ihren Ausdruck eben nicht nur in den breit gefächerten Folk-Einflüssen findet. Der Titel des Tracks zum Beispiel wird im Pressetext als phonetische Abwandlung des Neville Chamberlain-Ausspruchs „Peace in our time“ kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges beschrieben, während in den Lyrics selbst eine starke Bildsprache zum Vorschein kommt. Das aber nur um mal den Gehalt des Tracks anzureißen.

Die Songs legen die Finger mit ihren mal mehr, mal weniger subtilen Implikationen also in die gesellschaftspolitische Wunde unserer Zeit, lassen jedoch stets genügend Platz für vorsichtigen Optimismus. Und dieser drückt sich einerseits eben durch die klangliche Vielfalt der Songs als Widerstand gegen die durch toxisches Gedankengut drohende Isolation der Völker, andererseits aber auch durch die Vielfalt an Stimmungen aus, die hier heraufbeschworen werden.

Der Ton macht die Musik – die Stimmung aber auch

So scheint Steve Hackett mit „Under The Eye Of The Sun“ die Schönheit und Rauhheit der Natur zu feiern, denn der Track schickt den Hörer mit seinem galoppierenden Rhythmus im Geiste auf dem Rücken eines Pferdes reitend durch die Prärie. Das ist übrigens ebenfalls ein wiederkehrender Signatur-Kniff von Steve Hackett: Die Songs haben wieder einen stark ausgeprägten, lautmalerischen Charakter inne. Das trifft auch auf das folgende „Underground Railroad“ zu, das durch einen irgendwie an Neal Morse erinnernden Gospel-Part eingeleitet wird. In der Folge erweckt der Song den Eindruck einer Western-Hommage mit seinen Country-Einflüssen, die im weiteren Sinne die Befreiung der Afroamerikaner aus der Sklaverei zum Thema hat.

„Those Golden Wings“ hält eine seltsam nostalgische Wärme inne, die dann aber durch den kurzen, dramatischen Orchester-Einschub kontrastiert wird. Interessant ist, dass die Arrangements hier nicht als Aufputschmittel für die Riffs oder Grundmelodien herhalten müssen. Stattdessen räumen die übrigen Instrumente die Bühne, damit der Orchestral-Part seine volle Macht entfalten kann – sehr mutig und hervorragend umgesetzt. Und natürlich ist Hacketts wiederkehrendes, harfenartiges Spiel auf der Akustischen ein Genuss.

„Hungry Years“ lässt den Hörer mit angenehm antiquierten Psychedelic-Klängen in den Sechzigern schwelgen und stellt den traditionellsten Song des Albums dar. Hier findet Hackett dann aber wieder Gelegenheit für ein fantasievolles, erbauliches Solo, das als Climax für den Song wunderbar funktioniert. Die abschließenden, zusammengehörigen Songs „Descent“, „Conflict“ und „Peace“ drücken den erwähnten, politischen, aber auch optimistischen Charakter musikalisch wohl am deutlichsten aus. „Descent“ baut die Spannung auf, die sich bei „Conflict“ entlädt. Mit „Peace“ finden sowohl diese Trias als auch das Album dann zu einem versöhnlichen Ende.

Ein großer Aufwand, der sich ausgezahlt hat

Steve Hackett hat sich mal wieder nicht lumpen lassen und das Album mit einem internationales Ensemble an Musikern und Sängern eingespielt, darunter Durga und Loreley McBroom, bekannt unter anderem als Backgroundsängerinnen von PINK FLOYD. Diese und weitere Gastsänger sind zusammen mit Hackett, der selbst seine vielleicht beste und ausdrucksstärkste Gesangsdarbietung überhaupt liefert, dermaßen gut aufeinander abgestimmt, dass sich besonders die mehrstimmigen Passagen natürlich und fast schon selbstverständlich anhören.

Aber auch andere, prominente Gäste wie Jonas Reingold (THE FLOWER KINGS, THE TANGENT) sowie ganze vier Schlagzeuger (das Album wurde wie bei Hackett mittlerweise üblich auf Reisen aufgenommen) sind am Album beteiligt gewesen, sowie einige volkstümliche Instrumente wie Didgeridoo, Tar oder Sitar. Und auch die Produktion zeugt von dieser ungeheuren Leidenschaft des Gitarristen. Dieses Album klingt wie ein Gedicht, groß und professionell, aber doch zu gegebener Zeit lebendig und sogar wild, wenn es die rockigen Passagen von Songs wie „Under The Eye Of The Sun“ oder „Underground Railroad“ erfordern.

Hackett vereint Treue zu sich selbst mit Frische

Die Songs fließen einfach dahin, das Album lässt sich problemlos am Stück hören und macht mit jedem Durchlauf mehr und mehr Spaß. Zwar kein Album mit Konzept, wohnt der Platte dennoch eine konsistente Thematik inne, die besagten Fluss am Laufen hält. Das Bewusstsein für aber nicht Versteifen auf das derzeitige, gesellschaftspolitische Bild unserer Zeit lässt die nötige Relevanz mitschwingen. Und dass sich Hackett mit dem unnötigen Kitsch dieses Mal zurückgehalten hat, macht das Album fast perfekt, sieht man mal von dem etwas langsamen Einstieg ab.

„At The Edge Of Light“ ist ein Album, das sich ernst genug nimmt, um seine Message klar rüberzubringen. Gleichzeitig hat es aber auch diese erfrischende, optimistische Naivität inne, die man vielleicht für ein interkulturelles Miteinander einfach nötig hat. Dieses Album funktioniert auf so vielen Ebenen und verliert den Sinn für das musikalisch Ästhetische doch zu keiner Zeit aus den Augen, wo einfach jeder Ton und jedes Wort am rechten Platz sitzt. Und damit hat sich Steve Hackett wieder einmal ein Stück gesteigert.

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28.01.2019

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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