Stearica - Golem 202020

Review

Mit „Fertile“ ist den Italienern STEARICA 2015 ein ziemlich mächtiges Stück Musik gelungen, das unsereins seinerzeit ziemlich vom Hocker gehauen hat und auch heute noch regelmäßig Rotation in der heimischen Anlage erfährt. Im wesentlich haben die Turiner ihren im weiteren Sinne an Post-Rock angelehnten, rein instrumentalen Sound mit ordentlich Testosteron unterfüttert und daraus eine krachende Luzi geformt, die energetisch, euphorisch und überaus tanzbar aus den Boxen poltert und dabei mal verträumte, mal jubilierende, jederzeit aber geschmackvolle Melodien mit zum Teil richtig erdigen Riffs kombiniert. Man addiere dazu noch gerne mal richtig im Dreck schürfende und vor Feedback platzende Riffkaskaden wie in „Bes“ und das Ergebnis ist eine wilde, abwechslungsreiche Angelegenheit.

In der Zwischenzeit hat das Trio noch anlässlich ihres zwanzigjährigen Jubiläums eine One-Track-EP namens „20YRS“ veröffentlicht, doch erst jetzt mit „Golem 202020“ erscheint ein neues Full-Length-Werk des Trios. Und mit diesem Werk bietet die Band eine musikalische Interpretation des Stummfilmklassikers „Der Golem, wie er in die Welt kam“ von Paul Wegener und Carl Boese von 1920 (nicht der 1915er-Version) dar, gemäß dem Film unterteilt in fünf Kapitel. Dieses Konzept hat die Band eigentlich schon viel früher ausgearbeitet und u. a. 2013 während des Ravenna Nightmare International Festival aufgeführt, doch nun veröffentlichen sie diese Kompositionen als Studioalbum in Form von „Golem 202020“, wobei nachträglich noch einige songschreiberische Kniffe vorgenommen worden sind.

Stearica Band 2021

Kino für die Ohren: STEARICA (Credit: Agnese Samà)

STEARICA widmen sich einem Stummfilmklassiker

Wer von „Fertile“ gekommen ist und die Band in vergleichbar energetischer Form erwartet, den dürfte „Golem 202020“ zunächst einmal komplett auf dem falschen Fuß erwischen. Die Impulsivität von „Fertile“ erreichen die Turiner mit „Golem 202020“ nicht, wobei es beispielsweise mit „The Great Spell (The Invocation Of Astaroth – Chapter 2)“ durchaus mal etwas rockiger wird. Vermehrt gehen STEARICA allerdings subtiler und unterschwelliger vor, weben sanfte, repetitive Motive in ihre Musik ein und verleihen ihr eine stimmungsvollere Natur, weniger eine impulsive. Das sorgt dafür, dass man als Hörer nicht direkt abgeholt wird, sondern sich selbst aktivieren und mehr Aufmerksamkeit aufwenden muss, um in dieses Album hinein zu finden.

Ja, das ist in der Tat etwas, was „Golem 202020“ nicht tut: Es ist kein als alternativer Soundtrack konzipiertes Album. Im Gegensatz dazu haben beispielsweise ART ZOYD mit „Nosferatu“ eine verstörende, zum Teil schwer dissonante Elektro-Symphonie zum gleichnamigen Murnau-Klassiker inszeniert, die schon mehr wie ein Score wirkt dank ihrer so sehr auf impulsive Tuchfühlung gehenden sowie den zum Teil sehr Ambient-lastigen Klängen, die ein bisschen an Akira Yamaoka erinnern. „Golem 202020“ bricht selten aus seinem rockigen Korsett aus und erweckt daher nicht so wirklich den Eindruck der Intonation eines Stummfilms, aufgrund der geerdeten Natur der Stücke mehr den Eindruck eines atmosphärischen Jams zu besagtem Stummfilm.

„Golem 202020“ bietet dabei weniger einen alternativen Score, mehr einen Jam zum Film

Hör- und genießbar ist das Ganze allerdings dennoch durchweg, es klingt halt alles sehr Post-Rock-typisch, wobei man STEARICA definitiv zu Gute halten muss, dass sie den Kopf nicht wie manch andere Post-Rocker weit oben in den Wolken stecken haben und vor allem in ihren rockigeren Momenten immer noch diese erdigen Garage-Vibes inne haben. Post-Rock aber ist es allemal: „How He Came Into The World (Shaping His Soul Like Clay – Chapter 2)“ ist im Grunde um ein simples Motiv herum komponiert, doch die unterschwellige Steuerung der Spannungskurve via dem, was sich musikalisch drum herum abspielt, erledigt hier die eigentliche, eindrucksvolle Beinarbeit, die den Song letzten Endes funktionieren lassen.

„A Strange Servant (Golem’s First Errand – Chapter 3)“ besteht vor allem aus pulsierenden Synthesizern, die eine gewisse, unwirkliche Stimmung ausstrahlen. Das folgende „The Rose Festival – Part I (The Sad Scent Of A Different Flower – Chapter 3)“ hat etwas leicht Ambient-Jazziges an sich, wobei auch hier immer wieder flächige Synthesizer eingewoben werden. Wenn es rockiger wird, dann kommen die erdigen Gitarren sowie auch der warm grummelnde Bass der Italiener jedoch wieder wunderbar zum Vorschein. „In Flames (The Fire Spell – Chapter 4)“ ist einer dieser rockigeren Cuts und hat fast was Grungiges an sich. „The Shem (Golem Comes To Life – Chapter 2)“ dagegen baut mehr auf einen kantigen Groove auf und klingt etwas aufgeräumter.

Dennoch sollte man STEARICA als Post-Rock-affiner Hörer ein Ohr leihen

Gelungen ist auch, wie sich „The Rose Festival – Part II (Save Me And I Will Pardon Your People – Chapter 3)“ konsistent und geradlinig auf seine erhabene Klimax hinsteuert, nur um dann im anschließenden Schlussteil mit ordentlich Feedback auf den Gitarren noch einmal richtig dick aufzuspielen. Daneben gibt es noch kleinere musikalische Details hier und da, die auffallen und so ein bisschen das Gefühl von Geschlossenheit vermitteln. So greift das abschließende „Der Golem (The Angel’s Theme – Chapter 5)“ das Motiv des einleitenden „The Stars Reveal (An Impending Calamity – Chapter 1)“ auf, während „The Great Spell“ harmonisch wunderbar zu „How He Came Into The World“ aufschließt. Das ist zudem alles sehr ansprechend inszeniert und kommt dank der warmen, voluminösen Produktion auch stets voll zur Geltung.

Das Zusammenspiel von klassischem Rock-Trio-Instrumentarium mit den sehr feinsinnig platzierten und arrangierten Synths geht den Italienern wie Butter von der Hand. Dass das Album eben mehr nach Post-Rock denn nach Soundtrack klingt, ist so ziemlich auch das einzige, was man den Italienern hier wirklich zum Vorwurf machen kann, wobei STEARICA die Intensität der korrespondierenden Szenen eigentlich immer ziemlich gut mit ihrer Musik abbilden. Andererseits wäre ein Zusammenschnitt der intonierten Szenen in Begleitung der Musik durchaus wünschenswert, um etwas mehr hinter die Vision der Band steigen zu können, da das Album schon allein aufgrund der vergleichsweise kurzen Spielzeit kaum filmbegleitend dienen kann. Wer allerdings einfach „nur“ gut in Szene gesetzten Post-Rock sucht, der macht mit „Golem 202020“ ganz und gar nichts falsch.

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13.04.2021

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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