Das Traumartige, das Mysteriöse, das Unerklärliche – das möchten uns SPELL aus Kanada näher bringen. Der titelgebende opulente Zerfall sei eine Erkundung der psychologischen Eigenart, den eigenen Trieb zur Vermeidung von Leid fast bis hin zur Selbstzerstörung hinten an zu stellen, wenn es um die Zuneigung zu einem oder einer anderen geht. Eine verschrobene bis hochtrabende Zielsetzung gehört scheinbar zum guten Ton des Retro-Rock/Proto-Metal dazu, möchte man meinen. Doch bevor man das speziell im vorliegenden Falle gelangweilt abwinkt, sollte man sich mit den Kanadiern doch noch einmal näher befassen.
Der dritte Streich von SPELL
„Opulent Decay“ ist das dritte Album des Trios, das sich auf einen traditionell klingenden Sound der okkulteren Sorte spezialisiert hat. Wer an dieser Stelle direkt an KADAVAR denkt, denkt grob in die richtige Richtung. Die verschrobenen Berliner sind in den druckvolleren Grooves und beherzter rockenden Momenten nicht allzu weit entfernt von den Kanadiern hier. Aber auf „Opulent Decay“ werden die angestaubten Kanten des Dargebotenen doch etwas weicher gezeichnet, weshalb sich die Kanadier doch relativ sicher in eine eigene Nische hinein musizieren, ohne Gefahr zu laufen, voreilig in die Stoner-Schublade abzudriften.
SPELL sind da schon eher psychedelisch und bewusstseinserweiternd unterwegs, dabei aber gerade ausreichend am Boden verhaftet, um nicht gleich Space-mäßig abzuheben. Sprich: Die Konturen sind bei den Kanadiern prägnant definiert. Statt breitbeiniger Bierkastenriffs oder einem Wummersound frisch aus der Wüste versprühen die mal seltsam wabernden, mal heiser und fiebrig krächzenden Gitarren eine eher unwirkliche Stimmung, die den Hörer nie so richtig mit den Füßen auf dem Boden platziert. Die Welt um das geistige Auge des Hörers herum fühlt sich seltsam verschwommen an.
Eine frische Brise im Old-School Rock?
Passend dazu finden die Kanadier immer wieder Melodien fernab des Blues-Tonleiter-Baukastens, aus dem sich weniger kreative Genregenossen ja der Einfachheit halber nur zu gerne bedienen und sich damit dann unweigerlich in die Stoner-Sackgasse hinein manövrieren. Nur „Imprisoned By Shadows“ spielt mal mehr mit der Blues-Tonleiter und wird durch beherzte Riffs nach vorne getrieben, ohne sich jedoch in besagter Sackgasse zu verfangen. Entsprechend schauen die oben erwähnten Berliner hier auch mal etwas verschmitzter um die Ecke. Auch die typisch psychedelische Effekthascherei macht auf „Opulent Decay“ natürlich einiges aus, aber zusätzlich unterstützt die Produktion die Wahl der Melodien und die Art, wie sie in Szene gesetzt sind.
Der Sound wiederum scheint wieder in so einer Zwischenwelt zu existieren, auf der einen Seite klar definiert und sauber, andererseits irgendwie aber doch wieder roh und direkt. Songschreiberisch zaubern SPELL mit den ersten beiden Tracks, „Psychic Death“ sowie dem Titeltrack, direkt die größten Hits von „Opulent Decay“ aus dem Hut. Beide Songs kommen mit gutem Drive und Groove sowie einem gelungen in Szene gesetztem Sinn für Dramatik daher. In Erstgenanntem schlägt sich dieser durch die im Verlauf des Songs druckvoller werdende Rhythmik nieder, während der sakrale, irgendwie melancholische Abgang des Songs das Vergnügen wunderbar abrundet.
Eine höhere Hitdichte hätte „Opulent Decay“ gut getan
Der Titeltrack dagegen erweist sich als eingängiger Kracher mit fett groovender Gitarren, einer einschlägigen Hook und einem nach vorne galoppierendem Instrumental-Part, die allesamt den Song langfristig in den Hirnwindungen einpflanzen. Hiernach lässt die Klasse ein bisschen nach, auch wenn die Melodiearbeit der Kanadier weiterhin für einige magische Momente sorgt. „Primrose Path“ hat einerseits ansprechende, bedeutungsschwangere Gitarrenlicks, andererseits hat der Song auch diese schöne Hook mit gequählt aufheulenden Gitarren, in die der Song aber leider nicht allzu elegant überleitet.
Im wiederum etwas bluesigeren „Deceiver“ ist zwischenzeitlich eine etwas tiefer angesiedelte Gesangsdarbietung von Sänger/Bassist Cam Mesmer zu hören. Über den Rest des Albums singt er zumeist recht hoch, steht dabei hier und da auch mal auf wackeligen Beinen. Das kurze „Ataraxia“ glänzt indes durch ansprechend arrangierten, mehrstimmigen Gesang, der gewisse andächtige, sakrale Vibes versprüht. Beim Rausschmeißer „Saturn’s Riddle“ zeigen die Kanadier dann aber noch einmal ihre Muskeln. Zwar reicht der Song ebenfalls nicht an das eröffnende Doppel heran, bringt aber die Stärken des Albums noch einmal zusammen: eine prononcierte Rhythmik, erfrischende Melodien und ausdrucksstarke Gitarren.
Dennoch sind SPELL auf dem richtigen Weg
Insgesamt ist „Opulent Decay“ also eine erfrischende Angelegenheit in Sachen Retro-Rock bzw. Proto-Metal. Das Trio verschießt zwar relativ früh sein Hit-Pulver, glänzt im Nachgang aber mindestens immer wieder durch gefällige Harmonien, die nie zu offensichtlich anmuten, und findet immer wieder Möglichkeiten, starke Grooves in ihre Songs einzuarbeiten. Ein paar raue Kanten speziell beim Gesang von Cam Mesmer zeigen, dass die Band noch nicht ganz am Ziel angekommen ist, aber ansonsten sind SPELL auf dem richtigen Weg, um ihre Marke in der internationalen Ur-Rock/-Metal-Landschaft erfolgreich und nachhaltig zu platzieren.
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