Man kann sich das Szenario des Schaffungsprozesses eines Albums von SONATA ARCTICA ja immer gut vorstellen: Mit der Rohfassung der Platte in der Hand geht es zum Mixen ins Studio, doch auf dem Weg dorthin müssen Tony Kakko und Co. immer an einer Süßwarenfabrik vorbei. Und irgendwie stolpern die alten Leckermäuler jedes Mal wieder dort hinein und dann fällt ihnen im Eifer des Naschens die Platte in den Zuckerwattetopf, in den just in dem Moment noch Puderzucker hinein gestreut wird. Und am besten läuft noch ein neugieriges Kind mit der Kilopackung Marshmallows vorbei und lässt diese ebenfalls tollpatschig in den Topf hinein plumpsen.
Der Zuckersound von SONATA ARCTICA?
Heraus kommt eine klebrige Sache, die eigentlich viel zu süß ist für den durchschnittlichen Gaumen – aber da man sich beim Musizieren und Komponieren so viel Mühe gegeben hat, wirft man’s halt auch nicht weg… Also wird diese Fassung just gemastert und die Fans auf das berühmte nächste Mal vertröstet, bevor sich die Geschichte wiederholt. Und Überraschung: Auch „Talviyö“ fühlt sich so an, wenn auch nicht so heftig. Die Kariesgefahr ist erstaunlicherweise gar nicht mal so sehr gegeben, aber dennoch sollte man als jemand, der unter musikalischer Zuckerunverträglichkeit leidet, mit Vorsicht an „Talviyö“ herantreten.
Es gibt fernab dessen natürlich Interessantes in den Songs zu entdecken. Das dramatische, atmosphärische Kabinettstückchen „Last Of The Lambs“ ist ein Highlight der Platte dank seiner andächtigen, klagenden Beschaffenheit, die sich der Song über die gesamte Laufzeit bewahrt. „Ismo’s Got Good Reactors“ ist ein instrumentaler Song, bei dem SONATA ARCTICA endlich mal wieder etwas mehr auf die Tube drücken und dabei Melodien aus gefühlt aller Welt mit einbinden. Die symphonische Komponente verleiht dem Song dazu eine erfrischende Leichtigkeit.
„Talviyö“ kämpft mit dem Duchschnitt
Auch anderorts fallen vereinzelte Elemente von Songs auf. In die Kategorie „Interessierter Kopfkratz“ fällt zum Bleistift „Whirlwind“, das mit den einleitenden Riffs sowie den Gitarren in der Hook schon ziemlich in der Moderne verankert ist, während das Schlagzeugmuster im Intro des Tracks zumindest unsereins seltsamerweise ausgerechnet an „Beg For Me“ von KORN denken lässt. Ein ebenfalls gelungener Aufhorcher ist die traumtänzerische Klavierornamentik, die dem bombastischen Part im ersten Drittel von „Demon’s Cage“ verpasst worden ist. Und insgesamt hat der Sound auch wieder etwas mehr Fleisch auf den Rippen als noch der Vorgänger „The Ninth Hour“, was ebenfalls erfreulich ist.
Doch auch wenn SONATA ARCTICA für interessante Momente sorgen, muss sich der Hörer dazwischen immer wieder durch jede Menge Durchschnitt und Zuckerwatte hindurch kämpfen, auch wenn der Anteil an Balladen technisch gesehen wieder zurückgeschraubt worden ist. Davon ist natürlich mit einer Ausnahme nichts per se schlecht, aber Songs wie „Cold“, „Who Failed The Most“ oder „A Little Less Understanding“ rauschen ziemlich spurlos an einem vorbei, wobei nur Fragmente wie eine weitläufigere Akkordfolge in „Who Failed The Most“ hängen bleiben. Und er Refrain von „A Little Less Understanding“ ist ganz nett.
Zum reinen Pop fehlt nicht mehr viel
So richtig drehen SONATA ARCTICA den Saccharosespiegel am Ende dann aber doch noch mal hoch mit dem Rausschmeißer „The Garden“ – die vielleicht schmalzigste Ballade des Jahres, der sich vermutlich selbst Tobias Sammet gegenüber geschlagen geben muss. Und nicht nur ist der Song unerträglich überzuckert, er ist auch mit sechs Minuten (!) viel zu lang geraten. Man kann froh sein, dass der Track das Album abschließt, da sich so der Rest der Platte relativ flüssig am Stück durchhören lässt, ohne dass man zwangsläufig mittendrin einen Schreikrampf ob des Gehörten bekommt. Wobei das natürlich davon abhängt, wo man selbst in Bezug auf SONATA ARCTICA steht.
„Talviyö“ bleibt damit der Tradition durchschnittlicher Alben der Finnen treu. Man sehnt sich ja gemeinhin mehr nach den Klängen der Anfangstage zurück, aber das wird wohl so schnell nicht passieren. Dafür müssten SONATA ARCTICA mit ihrem neuen Sound mal heftig auf die Schnauze fallen, aber anscheinend fahren sie kommerziell doch ganz gut damit und werden folglich so schnell damit nicht aufhören. Insofern macht „Talviyö“ technisch gesehen auch nicht viel falsch – es ist eben einfach Pop-Metal, der wenig Kante, aber dafür auch wenig Schwäche zeigt. Sieht man mal von „The Garden“ ab.
Wie lange sie das Produzieren von Pop noch glücklich machen wird?
Einfach schlecht