Sölicitör - Spectral Devastation

Review

Bereits mit ihrer selbstbetitelten EP von 2019 hatten SÖLICITÖR buchstäblich alles, was eine junge, aufstrebende Heavy-Metal-Band im 21. Jahrhundert braucht: Einen dieser klassischen ENFORCER-/VIOLATOR-Bandnamen, allerdings garniert mit gleich zwei Heavy-Metal-Ümlauten; ein cooles Cover in Schwarz-Weiß, auf dem die Punkrockschwester von CRO samt Ketten und Machete mit dem Moped durch die Prärie preschend Zombieköpfe sammelt; und selbstredend starke Songs mit Wiedererkennungswert. Keine Frage, Potential für die Festivalbühnen des Undergrounds ist reichlich vorhanden. Allerdings ist es natürlich ob der schieren Masse an Gleichgesinnten für eine junge Band, die einigermaßen klassischen Heavy Metal spielt, schwieriger, sich auf dem internationalen Parkett zu behaupten. “Spectral Devastation” wird einen entscheidenden Schritt leisten, das Seattle-Quintett in den Kanon des gegenwärtigen Traditionsstahls zu befördern.

Doch wie viel Platz ist im großen Wald der Heavy-Metal-Newcomer für SÖLICITÖR?

Bereits die “Sölicitör”-EP wusste zu überzeugen, indem sie es vermied, alte Klassiker zu kopieren. Die von ihnen genutzten Zutaten unterscheiden sich in ihren Details erheblich von der mehrheitlichen Konkurrenz. Natürlich fällt Amy Lee Carlssons großartiger Gesang sofort auf. Hin und wieder erinnert sie an ihre Kolleginnen Leather Leone (CHASTAIN) und vor allem Lynn Renaud von den kultigen MESSIAH FORCE (wer das ’87er-Album “The Last Day” nicht kennt, möge dies gern sofort nachholen). Sie beherrscht es allerdings auch, Töne in den mittleren Tonlagen dramatisch zu dehnen und dabei an Rob Halford zu “Screaming For Vengeance”-Zeiten zu erinnern; oder aber einzelne Akzente mit einem gekonnten Fauchen zu versehen, wie es David DeFeis (VIRGIN STEELE) vor zwei Dekaden auch noch konnte.

Generell ist es gleichermaßen erfreulich, dass das handwerkliche Können aller Beteiligten enorm hoch ist, alle aber auch die Wichtigkeit einer gehörigen Portion Schmutz auf so einem Album verstanden haben. SÖLICITÖR haben diesen extrem coolen, schrulligen Gitarrensound der zweiten und dritten PORTRAIT eingefangen und halten sich auch mit ihren eigentlich eher düsteren Melodien häufiger im angeschwärzten Heavy Metal auf. Bei der überraschenden, direkt kombinierten Abfolge von Blastbeat und D-Beat zu Beginn des letzten Songs “Grip Of The Fist” könnte man sogar kurz an DENIAL OF GOD denken. Ansonsten atmen die Gitarren viel geschmackvollen 80s-Spirit, sind gekonnt arrangiert und duellieren sich mit Leidenschaft. SÖLICITÖR verbinden auf sehr elegante Weise die erhabene, breakverliebte MERCYFUL-FATE-Schule mit der angenehm unhöflichen Ruppigkeit des frühen Speed Metal und schaffen sich so eine bemerkenswerte Nische im Kosmos des klassischen Heavy Metal.

“Spectral Devastation” bietet abwechslungsreiches, dynamisches Songwriting mit viel Herzblut

Es ist gut, dass man der Scheibe zu jeder Zeit anhört, dass sich hier eine Band am Werk befindet, der man ernsthaften Enthusiasmus und profunde Kenntnis des traditionellen Metal, Freude an der originellen Kombination verschiedener Stilelemente und die Mühe, diese im Proberaum zu arrangieren, attestieren möchte. SÖLICITÖR wirken stets wie eine echte Einheit und vermitteln glaubwürdiges Straßengang-Feeling, wie es viele Bands der Achtziger zu tun wussten. Besonders im gut gewählten Opener “Blood Revelation” klingt immer wieder alter Speed Metal mit “Hit The Lights”-Feeling an. Eine schöne Abwechslung dazu ist das folgende “Betrayer” mit seinen markanten Twin Leads.

Neu auf diesem Album ist im Vergleich zur Debüt-EP ein erster Ansatz von epischen Arrangements, mit denen “Night Vision” und “The Red Queen” punkten können. Sollten SÖLICITÖR vorhaben, diese Ausrichtung weiter zu verfolgen, würde es auf alle Fälle den eher biederen Street-Rocker “Leathür Streets”, der als einziger Song des Albums qualitativ leicht abfällt, überflüssig machen. Doch es ist schon beeindruckend, wie konsequent die Amis ihr Niveau über die gesamte Spielzeit aufrechterhalten können.

Die weitere Entwicklung bleibt spannend

Man kann Gates of Hell Records zu ihrem aktuellen Lauf, den sie mit TRAVELER, RIOT CITY, VULTURES VENGEANCE und CHEVALIER haben, nur beglückwünschen. Mit SÖLICITÖR gesellt sich eine weitere hochklassige und ebenso eigenständig klingende Band hinzu. Europa-Touren mit den genannten Kollegen in hoffentlich nächstmöglicher Zukunft wären sicher hilfreich und absolut wünschenswert. Es wäre jedenfalls erstaunlich, wenn das nächste Album nicht mindestens ebenbürtig wird.

24.04.2020

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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