Sodom - Tapping The Vein

Review

Holt die Plörre raus und haltet eure Schalke-Trikots bereit: Die Ruhrpott-Bastion von SODOM serviert uns einen schmucken Re-Release des 92er-Klassikers „Tapping The Vein“. Es ist Allgemeinwissen, dass Onkel Tom und seine Kumpel bekanntere Alben veröffentlicht haben. Doch die Fanbase schwört nach wie vor auf diese Platte. Anstatt eines lieblos dahingeklatschten Jewelcases, bekommen wir nicht nur das originale Album, sondern gleich einen kompletten Remix von Gitarrist Andy Brings sowie einige zeitgenössische Bootlegs. Ob es was taugt und was „Tapping The Vein“ so besonders macht, erfahrt ihr hier in dieser Review!

SODOM – ein Lebensgefühl zwischen Bier und Beton

Die „Big Teutonic-4“, wie sie von der Presse getauft wurden, bezeichnet die renommiertesten Thrash-Bands aus good old Germany. Obwohl sie weltweit aktiv sind und ihre Texte auf Englisch rausbölken, sind sie so deutsch wie Gemecker und schlechtes Wetter – nur Spaß machen sie auf jeden Fall mehr. Während DESTRUCTION die furchtbaren 90er gleich komplett übersprungen haben und inaktiv waren, ging es TANKARD nur ein bisschen besser. Die Frankfurter versuchten es, doch bespielten lediglich die Jugendzentren der Nation. KREATOR hatte zwar so etwas wie eine Karriere, doch ihre Fans rieben sich vor allem bei Platten wie „Outcast“ und „Endorama“ die Ohren. Einzig und alleine SODOM konnten ihren Stiefel ohne weiteres durchziehen und blieben so resilient wie eh und je. Die Mannen um Tom Angelripper haben nie zu den Bands gehört, die irgendwelche stilistischen Spagate versucht haben. Dafür kann man sich bis heute über jede Note freuen, die sie uns bescheren.

Es war auch damals klar, dass SODOM die Band des kleinen Mannes geblieben ist. Ein Album wie „Tapping The Vein“ ist nicht nur eine kleine Zeitkapsel in die frühen 90er, sondern auch ein Beispiel dafür, dieser Linie treu zu bleiben. Da die Erfolge von „Agent Orange“ und „Better Off Dead“ ein größeres Budget ermöglichten, rieb sich Drummer Chris Witchhunter die Hände und durfte seine Arbeit in den legendären Studios von Dieter Dierks verrichten. Dass man dort eigentlich auf Perfektion polierte Alben produziert und keinen Rumpeldipumpel-Thrash, hat er allerdings nicht bedacht. Der hohe Production Value trifft also auf eine eigentümliche und ungezügelte Performance hinter den Kesseln. Dadurch, dass Chris Witchhunter so war, wie er war, bekamen SODOM ein unregelmäßigen, aber einzigartigen Herzschlag.

Kälte, Gift und Galle

Man kann Chris Witchhunter (Er ruhe in Frieden) nicht genug respektieren und schätzen. Klang der typische „Ufta-Ufta-Beat“ des Old-School-Thrash jemals so gut wie auf dem Opener „Body Parts“ oder auf „Skinned Alive“ ? Das Riffing bei letzterem Song erinnert an eine Horde Raubtiere, die ihre Beute lebendig auseinanderreißt. Der Hall in dem das Album schwimmt, steht im totalen Kontrast zur eher trockenen „Better Off Dead“ und macht alles noch kälter. Die Brutalität wird also dadurch eher unterstrichen anstatt abgeschwächt. Das Klangbild und einige Vocal-Parts haben also Parallelen zu der damals schon bald aufkeimenden Black Metal-Welle („The Crippler“) – doch hier regiert das besagte „Ufta-Ufta“ und nicht der Blastbeat.

Bei so einer Schlachtplatte braucht es aber auch ein kleines Bonbon, was das ganze Ding etwas auflockert. „Wachturm“ ist eine witzige MOTÖRHEAD-mäßige Nummer, die sich aufgrund ihres deutschen Texts und ihrer Lockerheit in die Fanherzen gebohrt hat. Nebenbei: Gitarrist Andy Brings ergänzte die Band als der damalige Neuzugang auf eine ideale Weise. Besonders auf „Hunting Season“, spornt er die Band durch seine ungestüme Spielweise an und kitzelt das Allerbeste aus ONKEL TOM und Chris Witchhunter heraus. Nicht schlecht, Herr Specht. Da er nur ein etwa 20-jähriger Junge ohne große Studioerfahrung war, ist es umso respektabler.

Der Charakterkopf unter den Alben

„Tapping The Vein“ markiert das letzte wirklich klassische SODOM-Album. Die Dekade des Grauens hatte bereits begonnen und verwüstete die gesamte Metalszene. Und als historisches Dokument und Fanfavorit, ist das Album zu einem gewissen Grad jenseits ernsthafter Kritik. Die hohe Wertung ergibt sich nicht nur daraus, sondern auch wegen seiner individuellen Persönlichkeit. Es ist vergleichbar mit einer wunderschönen Frau, die vielleicht einen Zinken oder ein paar Kilos zu viel hat. Die kleinen Ecken und Kanten machen sie nun mal erst liebenswert. Obwohl ältere Semester wahrscheinlich schon ihre Vinyl- oder CD-Ausgabe streicheln, sollte auch diese über die Anschaffung dieses Re-Release nachdenken. Neben dem Originalalbum, erhält der geneigte Fan noch einen extra für diese Veröffentlichung angefertigten Remix von Andy Brings. Dieser bringt ein Live-Feeling mit sich und eröffnet eine neue Perspektive auf die Songs. Der Deal wird noch von ein paar Live-Alben und einer schicken Verpackung abgerundet. 

Kann man da meckern? Nö!

12.11.2024
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