460 Meilen trennen San José vom Death-Valley-Nationalpark. Wie muss es sich anfühlen, orientierungslos durch das Tal des Todes zu irren, jenen lebensfeindlichen Ort, an dem schon Temperaturen von weit über 50 Grad gemessen wurden? Tatsächlich existiert der Soundtrack zum drohenden Hitzetod bereits seit 1994 – über Jahre hinweg komponiert von drei Grünschnäbeln aus der westlich gelegenen Bay Area, die es mit der seligsprechenden Verweihräucherung des Hanfgewächses seit jeher etwas zu genau genommen hatten.
Was Al Cisneros, Matt Pike und Chris Hakius 1990 unter dem Namen SLEEP ins Leben rufen, versteht sich zunächst als SABBATH-lastiger Traditional-Doom-Act – einer von vielen. Dennoch gelingt es den drei Hobby-Weedians mit ihrem Zweitwerk „Sleep’s Holy Mountain“ Mitte der 1990er, die Aufmerksamkeit eines Majorlabels auf sich zu ziehen. Beflügelt vom vermeintlichen künstlerischen Ritterschlag und den Aerosolen der gläsernen Proberaumbong widmet sich das Trio fortan jenem überambitionierten Projekt, das alsbald nicht nur weit über das Bandkonstrukt hinauswachsen, sondern dieses eines Tages sogar zum Einsturz bringen sollte.
Doch was unter den Trümmern zurückbleibt, ist nicht weniger als ein Gebet. Wohl nicht gerade auf lyrischer Ebene – wenngleich die satirische Vermengung religiöser Motive und plumper Cannabis-Glorifizierung („Grow-Room is church temple of the new stoner breed“) durchaus zum Schmunzeln animieren mag. Musikalisch kommt das Werk dennoch einer kathartischen Erfahrung gleich: 64 Minuten, drei Mittzwanziger, ein Song. „Dopesmoker“.
Sonnenstich und Hitzetod: Die hässliche Fratze des Stoner-Dooms
Wer glaubt, echte Summer-Vibes auf der nächstbesten Ibiza-Tropical-Beach-Trance-Compilation zu finden, beweist nicht nur schlechten Geschmack, sondern negiert gleichzeitig die hässlichen Seiten der warmen Jahreszeit: Sonnenstich, Austrocknung, Fieberwahn. Aus alldem basteln SLEEP eine rauschartige akustische Nahtoderfahrung. Schleppendes Spiel, quälend lange Gitarreninterludien, scheußlich matter Klagegesang. Eine aussichtslose Situation. Wann bitte klang Psychedelia jemals so heavy?
Sollte es zum damaligen Zeitpunkt bereits Indizien für den sich später entwickelnden Szenekult um „Dopesmoker“ gegeben haben – die Vertreter von London Records schienen sie nicht erkannt zu haben. Nach einer ersten Sichtung des aufgenommenen Materials lehnte die Universal-Tochter jede Veröffentlichung in der ursprünglichen Form ab. Fortan brodelte es nicht mehr nur im Vaporizer, sondern auch zunehmend unter der Oberfläche. Schon während der Aufnahmen herrscht musikalische Uneinigkeit zwischen Hakius und Cisneros, letzterer hinterfragt schließlich die gesamte Veröffentlichung des Albums. Auf Wunsch des Labels kehren SLEEP allerdings noch einmal ins Studio zurück und legen den London-A&Rs das nun um zehn Minuten gekürzte Album unter dem Titel „Jerusalem“ erneut vor. Deren abermalige Ablehnung führt zum endgültigen Kollaps: Das Trio trennt sich. Und „Dopesmoker“ bleibt unveröffentlicht.
„Drop out of life with bong in hand“
Erst als sich 1999 Lee Dorians Rise-Above-Label des „Jerusalem“-Bootlegs annimmt, gewinnt der sich allmählich abzeichnende SLEEP-Kult an Aufschwung, bevor er schließlich im vollständigen „Dopesmoker“-Release 2003 und dem anschließenden Comeback gipfelt. Das heute szeneübergreifend bekannte Artwork von Arik Roper tut sein Übriges. Der New Yorker Grafikdesigner gibt den vielfach besungenen „Weedians“ ein Gesicht und schickt sie auf eine Odysee durch ebenjene staubtrockene Wüstenlandschaft, die SLEEP sieben Jahre zuvor lautmalerisch konstruierten.
Ob Zeilen wie „Proceed the weedian“ oder „Drop out of life with bong in hand“: Cisneros gegurgelte Vokalmantras stellen bis heute die vielleichten populärsten Bibelverse der Doom-Metal-Szene dar. Dabei liegt die gesangliche (wie wohl auch musikalische) Qualität von „Dopesmoker“ beispielsweise weit unter der von HIGH ON FIRE, dem späterem Hauptprojekt von Gitarrist Pikes. Dafür ist es aber ebendiese Unvollkommenheit, die von Hördurchlauf zu Hördurchlauf Qual und Delirium einer im Vollrausch zeternden US-Truppe widerspiegelt, die mit wenig Tempo und vielen Kräuterzigarettchen ein Stück Doom-Metal-Geschichte schrieb.
Diese Review erschien zuerst im Rahmen des Specials „Weltschmerz: Unsere liebsten Doom-Perlen„.
Toll, da bekommt man glatt nochmal Lust die Gitarre direkt irgendwie zu nehmen und 63 Minuten einfach auch mal zu üben. Daher für die Anregung 2 Punkte.
LOL!!
wenn man eure sonstige „weltschmerz“auswahl ansieht, habt ihr geschmack bewiesen. das hier jedoch ist ohrenschmerz.
nix für mich…eher langweilig.
Die 10/10 sind mehr als gerechtfertigt und das Review mit den nötigen Hintergrundinfos passt auch.
Absolut genial! Hab mehrere Anläufe gebraucht um das zu kapieren, geiler rotziger Doom-Stoner Metal.
Typisches Entweder oder Album. SLEEP waren schon immer sehr minimalistisch. „Sleep’s Holy Mountain“ aus dem Jahre 1992 war und bleibt genial. Aber hier fragt man sich ob SLEEP es mit dem Minimalismus nicht übertrieben haben oder aber ob diese primitive Ausdrucksart nur vor Genialität strotzt. Beides mag stimmen – SLEEP waren geniale Stümper – bis zu einem gewissen Punkt!
Simple aber ausdrucksstarke Riffs, welche bis zum Erbrechen wiederholt werden. Selbst der Gesang ist unter aller Kanone. Aber die Musik hat ihren Charme. Mir ist es manchmal etwas zu langatmig & nach gut 35 Minuten wurde bereits alles gesagt. Danach dümpelt der Song nur noch vor sich hin & man denkt sich nur noch, dass bekiffte am Jammen sind. Zwar gibt es dann noch paar halbwegs nette Soli aber richtig vom Hocker haut einem da nichts mehr.
Weniger wäre vielleicht etwas mehr gewesen.