Sissy - Sick

Review

Was verbindet man gemeinhin mit dem Namen SISSY? Romy Schneider und ihre Schicksalsjahre als Kaiserin in kitschtriefenden Kostümfilmchen? Oder vielleicht einen kleinen Weichling, den man nur aus Mitleid nicht als „Pussy“ beschimpft, weil dies schon zu hart für den armen Kerl wäre? Egal, beim ersten Hördurchlauf dieses Rundlings hatte ich jedenfalls genau so ein Weichei vor Augen, da die Mucke auf „Sick“ einen aufgesetzten Möchtegern-Härtner-Vibe verbreitete. Plakatives New Metal/Rock-Riffing, ab und an weinerlicher Gesang und z.T. infantile Texte ließen mich das Debüt des deutschen Fünfers erstmal wieder beiseite legen. Aber jetzt nach mehreren Durchläufen muss ich meinen ersten vernichtenden Eindruck revidieren. „Sick“ fängt irgendwann an, einigermaßen zu zünden. Zwar gibt es immer noch das ein oder andere zu bemängeln (Songausfälle wie z.B. „Final Destination“ oder „Love Is Not Real“ + einige Lyrics [auch wegen ihres Englischs] + mehrere gesangliche Wackler, weil die Vocals ZU abwechslungsreich angelegt sind), aber Dinge, die auf den ersten Hör brutalst störend wirkten, machen plötzlich Sinn und gefallen. SISSY unternehmen viele Ausflüge in benachbarte Stilgebiete. „Do U Know Your Daughter“ weist einen Funk-Part auf, der anfangs schrecklich dissonant rüberkommt, mit der Zeit den kraftvollen New Metal-Grundtenor aber wohltuend auflockert. Oder: „Rock N‘ Roller“ hat während der Strophen einen zahmen, fragilen Charakter, nur um im Refrain mit einem erdrückend schweren Riff aufzuwarten, das fast schon die Walzenhaftigkeit eines Doom-Schlachtschiffs erreicht. Oder: „Skate“ passt, ganz dem Titel nach, in die Skate-Punk-Schublade. So verschaffen sich SISSY im innovationsarmen New Metal-Genre eine lobenswerte Portion Eigenständigkeit. Trotzdem bewegt sich das Gros ihrer Songs in der soliden Schnittmenge aus Neumetall und rockigen Alternativeklängen (z.B. „I Don’t Like It When U’re Joking“, „Upside Down“) und kann Bands wie 3 DOORS DOWN, PRIME STH oder PAPA ROACH (noch) nicht das Wasser reichen. Ihre stärksten Momente habe die Jungs seltsamerweise, wenn sie einen Gang zurückschalten und stimmungsvolle Halb-/Akustikballaden schreiben („Song Of Pain“, „Escape“). So richtig sick ist auf „Sick“ also nichts und man wird auch nicht sick, wenn man sich dieses Album zu Gemüte führt. Bis nach oben fehlt allerdings noch ein Schritt. Das Potential, ihn irgendwann gehen zu können, ist aber ohne Zweifel vorhanden.

10.12.2003

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