Sinistro - Semente

Review

Galerie mit 6 Bildern: Sinistro - Live in Herford - "Medusa"-Tour 2017

Portugal – dieses Stichwort lässt vor dem inneren Auge Bilder von romantischen Sonnenuntergängen an langen Stränden aufziehen. SINISTRO, die dieses Reich des Sommers ihre Heimat nennen, korrigieren das Bild, indem sie langsam und genüsslich mit tiefschwarzer Tusche die Apocalypse darüber pinseln und uns hierzu den Soundtrack liefern. Als musikalische Referenz wird Fado benannt – die portugiesische Vertonung der Sehnsucht, die seit 2011 als UNESCO Weltkulturerbe gilt. SINISTRO produzieren als ihre eigene Version der Abgrundsvertonung ein nachtschwarz schillerndes Post-Doom-Gebilde, das vage an PORTISHEAD, MOGWAI, TOOL, DREDG oder RADIOHEAD erinnert. „Semente“ ist das dritte Album der Formation, auf dem die Portugiesen darauf verzichten, Klischees zu bedienen, bei ihren Vorbildern abzuschreiben oder gar allzu eklektisch den Untergang zu besingen.

Der Opener „Partida“ hebt mit einem Schwerlastkram den Weltschmerz an unsere Ohren und gerade, als man sich geneigt fühlt, das Ganze als CANDLEMASS-Abklatsch aus der Playlist zu streichen, wechselt die Harmonie und die Stimme von Sängerin Patricia Andrade nimmt uns mit auf die Reise. Das folgende „Estrada“ hat Ohrwurmqualität und überrascht mit Tempowechseln bei meisterlicher Langsamkeit, während „Corpo Presente“ beinahe zum Tanzen einlädt und klagend-beschwungen SINISTROs Fado-Wurzeln zelebriert. Mit dem fast achtminütigen „Reliquia“ zeigen SINISTRO, dass sie wissen, wie man einen Spannungsbogen von Härte zu Zerbrechlichkeit zu Härte spannt. „Semente“ balanciert eine Dreiviertelstunde lang Gegensätze, ohne zu nerven, immer im Fluss, überraschend aber stets rund und geschmeidig. Die Band beherrscht die Verschmelzung von Langsamkeit und Unruhe, von Klage und Wut, Schlichtheit und Stilbruch. Und hier liegt die Großartigkeit des Albums: Was die Musiker, die sich nur Y, F, R und P nennen lassen wollen, an den Instrumenten fabrizieren, fällt nicht aus dem Rahmen und demonstriert kein herausragendes musikalisches Genie. Verschmolzen mit der unaufdringlich einzigartigen Stimme von Patricia Andrade formt sich „Semente“ jedoch zu einer verführerischen, abnutzungsresistenden Gestalt, die seit dem ersten Anspielen meine Stereoanlage regiert.

Einziger Wermutstropfen ist der Preis, den SINISTRO für dieses hohe Maß an innerer Konsistenz zahlen: „Semente“ fehlt es an dem einen „Kracher“, es ist ein Album, das man besser ganz oder gar nicht hört. Ärgern muss sich darüber nicht, wer das Gesamtwerk als Soundtrack zu seinen ganz persönlichen Postweltuntergangfantasien begreift – betrachtet vielleicht von einem langen Sandstrand in Portugal.

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12.03.2016

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