SIGH – wie ein Seufzen klingen die Japaner wahrlich nicht. Das erste Mal, dass ich mit ihrer Musik in Berührung kam, dachte ich noch an eine Kopie von DIMMU BORGIR. Gleichwohl geht das asiatische Quintett ungleich experimenteller zu Werke als die norwegischen Dunkelburgen. „Graveward“ heißt SIGHs zehntes Werk und es klingt wie – ja, wie klingt das überhaupt? – nach einer sehr versierten Black-Metal-Band, die mit sämtlichen Genres hantiert, die der Metal je hervorgebracht hat. Gleichzeitig ist das Ganze abgemischt, als befänden wir uns in den Geburtsjahren der harten Riffs und des Krächzgesangs – also sehr erdig, trocken und unterproduziert.
Das Album startet mit einem virtuosen Fingerzeig. „Kaedit Nos Pestis“ ruft direkt die Qualitäten der Japaner auf den Plan. Schnelles Gitarrenspiel, interessante Bläser- und Chor-Arrangements sowie ein Füllhorn weiterer Ideen, wie das Etablieren alter Synthesizer im Klangkosmos SIGHs. „The Tombfiller“ übernimmt die Rolle des „Hits“ auf „Graveward“. Die Nummer ist irgendwo zwischen Power und Heavy Metal angesiedelt, sehr melodisch angelegt und besitzt wahrhafte Ohwurmqualitäten.
Was SIGH über die gesamte Spieldauer auszeichnet, ist ihre scheinbar unendliche Kreativität. Mitunter klingt das allerdings auch reichlich zerfahren. Größter Störfaktor sind so manche Klänge, die Herr Kawashima seinem Keyboard entlockt. Andererseits wollen SIGH genau diese alten, verstaubten Synthie-Klänge zu Gehör bringen. Inspiriert von italienischen Zombie-Filmen der 80er-Jahre und der Musikgeschichte des gesamten letzten Jahrhunderts, besitzt „Graveward“ unzählige klangliche Ausdrucksmöglichkeiten und beherbergt diese in seinen Kompositionen.
Wenn diese Ideenverarbeitung aufgeht, ist das absolut auf der Habenseite zu verbuchen. Beispielsweise wenn wir uns, wie bei „The Casketburner“, plötzlich in einer verrauchten Kneipe, nebst Bar-Piano wiederfinden. Im weiteren Verlauf können wir uns von der Melancholie von „A Massenger From Tomorrow“ treiben lassen oder im Dämmerlicht, an einem verregneten Abend, in Paris spazieren („The Trial By The Dead“).
SIGH erschaffen Bilder, die das Eintauchen in die Friedhofswelt von „Graveward“ lohnenswert machen. Sie eröffnen uns unser eigenes Vorstellungsmuseum. Man sollte jedoch im Umgang mit den Japanern geübt sein. Mit jedem Song steht der Rezipient erneut vor der Aufgabe, das klangvolle Ungeheuer zu bändigen.
Die Kompositionen strotzen vor ungewöhnlichen Instrumentierungen sowie unberechenbarer Dynamik und Agogik. Allein der Mittelteil von „The Molesters of My Soul“, mit seinem sphärischen Klangteppich und dem aufpeitschend Gitarrensolo, ist eine Klasse für sich.
„Graveward“ ist seiner Sperrigkeit wegen ein Spätzünder. Dennoch strahlt es von Anfang an eine ungemeine Faszination aus und besitzt eine unwiderrufliche Güte. Schwächerer Songs wie „The Forlorn“ oder „Out of the Grave“ zum Trotze, fühlt sich das Album wie SIGHs „Opus summum“ an. Die atmosphärische Vertonungen alter Horror-Filme und die Arrangements der Songs, sind, wenn auch oft schwer zugänglich, konsequent durchgeführt, dicht inszeniert und virtuos dargeboten.
Ich bin mir noch unsicher ob ich das Album auch so sehr mögen kann wie der Reviewer hier, an sich sind die letzten drei Songs des Albums mir sehr positiv in Erinnerung geblieben und lassen darauf hindeuten, dass ich das Album noch mehrfach anhören werde bevor ich mir eine endgültige Meinung bilde. Gefallen tut mir auf jeden Fall dieser experimentielle Ansatz, besonders wenn man sonst das ewig gleiche zu hören bekommt.