Mit ihren Engagements bei RHAPSODY (ob mit oder ohne OF FIRE…) und BLIND GUARDIAN haben die beiden Holzwarth-Brüder Alex (Drums) und Oliver (Bass) wesentlich mehr Aufmerksamkeit erregen können als mit ihrer „alten“ Band. Ihre musikalischen Visionen können die beiden aber bei SIEGES EVEN deutlich freier ausleben, einer Band, die jedem Prog-Metal-Fan in Deutschland ein Begriff sein sollte.
Keinen leichten Stand hatten die Deutschen Kopfmusiker in den Anfangstagen ihrer Karriere, zu anspruchsvoll und unkommerziell war ihr sperriger Sound, um von der breiten Masse wahrgenommen zu werden. Doch auch heute noch stellt die Musik auf dem neu aufgelegten 1995er-Album „Sophisticated“ eher eine Randgruppenerscheinung dar, die man sich erst einmal mühevoll und zeitintensiv erarbeiten muss.
Das Songmaterial ist durchsetzt von jazzigen Parts, zahlreichen Rhythmuswechseln und technisch anspruchsvollen Gitarrenläufen. Den rettenden Anker bilden immer wieder die Refrainmelodien und Hooklines. Hier macht sich jedoch bereits der gewöhnungsbedürftige Gesang von Greg Keller als große Schwachstelle bemerkbar, die den Zugang zu diesem Album nachhaltig erschwert.
Neben Keller prägt vor allem Gitarrist Wolfgang Zenk diese Phase der Band, hinterlässt dabei aber einen wesentlich besseren Eindruck als jener. Virtuos und verspielt schrubbt er sich durch das Songmaterial, ohne dabei jemals die klaren Songstrukturen zu stören. Wie bei jeder guten Prog-Band entpuppt sich das, was anfangs nach heillosem Durcheinander klingt, bei genauerer Betrachtung als wohldurchdachtes Arrangement.
Highlight des Albums ist sicherlich das hochmelodische „Dreamer“, das mit seiner Gute-Laune-Melodie ein wenig aus der sonst eher düster gehaltenen Alben-Atmosphäre heraussticht und so auch den Text nachdrücklich untermalt. Mit starken Stücken wie dem aggressiven Opener „Reporter“ oder dem groovigen „Wintertime“ können SIEGES EVEN zwar überzeugen, insgesamt fehlt jedoch das letzte Fünkchen Genialität, das einen ganz guten Song von einem sich in den Gehörgängen festsetzenden Meisterwerk unterscheidet.
Thematisch bewegt man sich – trotz teilweise arg holprigem Englisch (z.B. in „War“) – auf recht anspruchsvollem Terrain zwischen politischen Themen und persönlichen Beziehungsgeschichten. Herausragend ist hier auch der Titelsong, der sich ironisierend mit den vielen Intellektuellen-Klugscheißer-Klischees, mit denen man sich auch als Progressive-Band desöfteren konfrontiert sieht, auseinandersetzt.
Obwohl es sich um ein Re-Release handelt, wurde darauf verzichtet, zusätzliche Bonus-Tracks, Videos oder andere Gimmicks hinzuzufügen. Lediglich eine Seite mit wenig aussagekräftigen Liner-Notes gibt es. Für Prog-Fans dürfte dieses Album dennoch interessant sein, alle anderen werden sich jedoch vermutlich schwer tun, einen Zugang zu diesem Album zu finden.
Very sophisticated indeed.
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