Shining - VI: Klagopsalmer

Review

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Niemand muss sich Sorgen machen, dass SHINING ein schlechtes Album veröffentlichen werden. Kompositorisch und spielerisch beurteilt, haben wir es mit einer der vermutlich besten Bands ihres Genres zu tun (welches Genre das auch immer sein mag), zumindest in Bezug auf Studioaufnahmen. Weil das so ist, muss man bei „VI: Klagopsalmer“ und vermutlich auch allen weiteren Alben auf die Details schauen, bei denen sich entscheidet, ob SHINING ein nur gutes oder ein brillantes Album eingespielt haben.

Anfangs versprüht „Vilseledda Barnasjälars Hemvist“ Esprit und Sound des Albumvorgängers „V: Halmstad“ und wirkt dadurch zunächst recht unspektakulär. Der Song katapultiert den Hörer ohne Intro und Umschweife direkt ins Geschehen. Man bekommt den Eindruck, die Band sei nach etlichen Verzögerungen bei der Veröffentlichung der Platte heiß darauf, endlich loslegen zu dürfen. „Vilseledda Barnasjälars Hemvist“ ist ein typisches Stück SHINING: groovig, dynamisch, gespickt mit rockigen Soli, garniert mit dezenten und dadurch umso wirkungsvolleren Soli, stimmlich auffällig traditionell und wenig experimentierfreudig. „Plågoande O’Helga Plågoande“ schlägt in die gleiche Kerbe und könnte ebenfalls ein Song aus der „Halmstad“-Phase sein – eingängig, fräsend, im Aufbau und Arrangement relativ vorausschaubar (Akustikmittelteil mit hübschen Cleanvocals, Solo, Keyboardoutro), aber trotzdem gut. Bis hierhin ist nichts geschehen, womit man nicht gerechnet hätte.

Dann folgt mit „Krossade Drömmar Och Brutna Löften“ ein fünfminütiges Akustikgitarrengeklimper, dessen Sinn sich mir nicht erschließen will. Vielleicht dient es als Wegbereiter für das hervorragende „Fullständigt Jävla Död Inuti“: nette Akustikgitarren, schmissige Black-Metal-Triolen, aber auch Stakkato-Beats, die eindeutig in den Death-Metal-Bereich fallen, Dur-harmonische Rockriffs. Erst hier lotet Kvarforth nach und nach wieder seine immense stimmliche Bandbreite aus, knurrt und flüstert, schreit und bettelt, das alles aber überraschend wenig affektiert. Die Gitarristen glänzen mit wunderschönen Flangereffekten und beeindruckenden Soli, die zugleich songdienlich und auffällig in den Kontext verwoben sind.

Erst ab dem fünften Track, „Ohm (Sommar Med Siv)“, das, ganz nüchtern betrachtet, eine Mixtur aus Heavy-Metal-Song und Postrock-Feeling ist, legen SHINING langsam die Karten ihres ganzen Könnens auf den Tisch. Aus einem epischen Refrain mit dick verhallten Cleanvocals, orientalischen Soli auf hart rockenden Power-Metal-Parts (wer mag, könnte eine softere KEEP OF KALESSIN-Version heraushören) und viel viel Pathos setzt die Band einen Siebenminüter zusammen, der das Potential hätte, als SHINING-Song mit dem größten künstlerischen Wert über die Black-Metal-Grenze hinaus zu gelten. „Hätte“ deshalb, weil der Track leider eine Coverversion der norwegischen Gothic/Elektro-Band SEIGMEN ist. Das zeigt aber auch: Black Metal und Pop unterscheiden sich wohl doch gar nicht so sehr, wie viele das gerne hätten. Damit haben SHINING einmal wieder geschafft, wofür man sie kennt: größtmögliche Verwirrung zu stiften.

In glänzendem dramaturgischem Aufbau folgt nun das epische Schlussstück von „VI: Klagopsalmer“, das sechzehnminütige „Total Uttfrysning“. Hier wird die Band zunächst wieder traditioneller, taucht hinab in die bekannten Gefühle der Alben vor „Klagopsalmer“, baut erstmals wieder Sprachfetzen ein, lässt sich viel Zeit, verwebt düstere Cello-Klänge im Stil von Wojciech Kilar mit ironisch durigen Klavierakkorden und setzt dann, kurz vor der Zehnminuten-Marke, zum metallischen Schlussspurt an. Die letzen Minuten entlassen den aufmerksam mitfühlenden Hörer in ein Gefühlschaos aus Verbitterung, Verwirrtheit, Schönheit und Abgründigkeit, die alleine empfehlen, das Album noch einmal von vorne zu hören, um Klarheit und Einschätzbarkeit zu schaffen. Ein kluges, würdiges Ende.

Ich habe nicht viel erwartet von „VI: Klagopsalmer“, weil das grenzdebile Auftreten der Truppe (sicher nicht nur) mir oft genug die Faszination an der Musik vergällt hat. Das ändert nichts daran, dass dieses Album in seinen anfangs angesprochenen Detailveränderungen faszinierend und meisterhaft umgesetzt ist. Zwar vermisse ich ein wenig die sagenhafte Bassarbeit von „Halmstad“ (Larsen am Bass liefert unauffällige Basisarbeit im Vergleich zu seinem brillanten Vorgänger Phil A. Cirone) und die schiere Eingängigkeit älterer Stücke, was aber zugunsten eines homogeneren Gesamtklangs geschehen ist. So ist dieses Album vielleicht wieder kein Klassiker, aber ein Stück Musik, das sich hörbar aus der Umklammerung eines beengenden Genres löst. Gerade die Tendenz in Richtung Rock, der jetzt endgültig markante Trademark-Sound, das Zurückfahren der auf „V: Halmstad“ übertriebenen Stimmakrobatik zugunsten eines zweckhaften und öfters klaren Gesangs, die allgemein variablere stilistische Bandbreite zeigen, dass SHINING rein musikalisch erwachsen werden (oder geworden sind). Dazu sind sie eindeutig fähig, Stücke von großem und größtem Kaliber auf die Beine zu stellen. Wünschen wir ihnen, dass sie das auch in ihrem Auftreten eines Tages umsetzen können.

09.07.2009

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