Wer in der Welt des Cyberpunk-Fantasy-Rollenspiels SHADOWRUN Geld verdienen will, nimmt in der Regel nicht ganz legale Aufträge an. Diese werden von den oft nur als „Schmidt“ bekannten Personen angeboten, die in der Regel anonym bleiben. Mit „Schattengeschäfte“ liegt nun eine Abenteuersammlung vor, deren Inhalt seinen Fokus auf diese meist undurchsichtigen Gestalten legt.
„Schmidt“ oder „Johnson“ – Hauptsache die Bezahlung stimmt
Bei der Anthologie handelt es sich um eine eigenständige deutsche Veröffentlichung des Verlags Pegasus Spiele. Das dürfte Fans schon beim eingangs erwähnten Namen aufgefallen sein: im englischen Original von SHADOWRUN trifft man nämlich nicht auf „Schmidts“ sondern auf „Johnsons“.
Enthalten sind vier Abenteuer, die verteilt im Deutschland des Jahres 2083 spielen. Die „Schmidts“ sind in allen Fällen selbst in die Sache verwickelt, die Aufträge persönlicher Natur und entsprechend überschaubar.
Magischer Heimatfilm-Charme
Außerdem tropft pittoresker Regionalkrimi-Charme von den Seiten des Bandes. „Ein echtes Wunder“ führt die Spielfiguren ins Allgäu und in eine spirituelle, bäuerliche Welt, in der Hexer durch die Wälder wandern, launische Priester im Zentrum der Dorfgemeinschaft stehen und Schmuggler in alten Höhlen hausen.
Plot und Figuren, die dem Publikum öffentlich-rechtlicher Heimatfilme und -serien wie „Um Himmels Willen“ oder „Schwarzwald-Krimi“ bereits viel guten Willen abverlangen, passen ironischerweise gut in die verchromte Zukunft von SHADOWRUN. Magie ist in dieser Welt (wieder) real. Der Auftrag, ein „Wunder“ zu fälschen, um den Tourismus anzukurbeln, könnte also ein leichtes sein, gäbe es nicht unterwarteten Widerstand der lokalen Kleinkriminellen und Geistlichen.
Serienmord im Schatten des Horkensteins
„Abwärts“ hat dann eher wieder die Stimmung eines Ruhrgebiets-Tatorts und hätte auch gut in die Anthologie „Budenzauber“ gepasst. Das Abenteuer spielt einen Steinwurf vom Wohnort des Rezensenten entfernt, der mit Erschrecken feststellen muss, dass die beschauliche Stadt Hattingen mit all ihren alten Fachwerkhäusern im Jahr 2083 völlig heruntergekommen und Jagdgrund eines Serienmörders geworden ist.
Eben diesen sollen die Spielfiguren zur Strecke bringen und geraten dabei mit der Lokalpolitik und einigen Matrix-Aktivisten aneinander. Dieser Run bietet im überschaubaren Rahmen Action und Intrigen. Der klassische Plot, in dem die Underdogs gegen alle offiziellen wie inoffiziellen Widerstände für Gerechtigkeit sorgen, hat viel Charme und verspricht kurzweiligen Spielspaß.
Orks, die durchs Feuer gehen
Der Titel „Feuer und Flamme“ erinnert an die erfolgreiche Reality-TV-Show aus dem Ruhrgebiet, dieser Run findet aber im ländlichen Niedersachsen statt. Bei diesem Auftrag soll der beliebten Hochglanz-Feuerwehr-Crew aus der Serie „Orks, die durchs Feuer gehen“ wichtiges Equipment gestohlen werden, um es dem desolaten Bestand der Freiwilligen Feuerwehr Ketterbühl zuzuführen.
Dieser Run führt die Spielfiguren ebenfalls in die Situation der turbo-kapitalistischen Mediengesellschaft des Jahres 2083 einen Stich zu versetzen, gleichzeitig aber eben auch ins Visier der Konzerne zu geraten. Auch wenn der Plot sehr gradlinig ist und verlangt, das die Spielrunde sich mal zurücklehnt, können die Idee des Szenarios und dessen sympathische Nebenfiguren überzeugen.
Hexenzirkel mit C4
„Doppelmoral“ führt schließlich in den erwachten Harz und mitten in eine lokale Fehde zwischen einer Hexe und einem halbseidenen Familienunternehmen. Die Runner sollen etwas in die Luft jagen und nicht viele Fragen stellen, geraten dadurch aber natürlich mal wieder selbst mitten in die Schusslinie.
Auch dieses Szenario ist übersichtlich aufgebaut und versprüht viel Lokalkolorit. Mit dem Harz als erwachte Landschaft voller magischer Kreaturen und wahrgewordenen Legenden beinhaltet es zudem einen unverbrauchten Schauplatz.
Und wo ist jetzt ein „Schmidt“?
Eingeleitet wird „Schattengeschäfte“ übrigens mit einer allgemeinen Spielhilfe zu „Schmidts“ in SHADOWRUN. Betrachtet man allerdings die vier Abenteuer, dann wirkt diese Klammer allerdings etwas erzwungen. Das gemeinsame Element ist zwar, dass die „Schmidts“ in diesen Szenarien mehr als nur gesichtslose Auftraggeber*innen sind, der regionale Fokus fällt jedoch als stärkere Gemeinsamkeit auf.
Jede der Geschichten außer spielt in der Provinz, fernab der großen Konzerne und kriminellen Organisationen. Dass diese aber trotzdem immer wieder am Rande auftauchen und sich dadurch sogar Anknüpfungspunkte für weitere Runs ergeben, zeigt die starke Präsenz dieser Fraktionen in SHADOWRUN. Auf diese Weise gelingt es trotz der vergleichsweise gemütlichen Handlungen dennoch, die cyberpunkigen Elemente der Spielwelt zu verdeutlichen.
Beschauliche „Schattengeschäfte“ mit Lokalkolorit
Insgesamt ist „Schattengeschäfte“ eine sehr unterhaltsame Zusammenstellung von eher bodenständigen Abenteuern, in denen aber die verschiedenen Aspekte von SHADOWRUN gut zur Geltung kommen. Die Klischees und der bereits erwähnte Regionalkrimi-Charme sind sicherlich Geschmackssache, passen in diesem Fall aber sehr gut zur Präsentation der Spielwelt als Ort, der trotz aller Hochtechnologie eben auch urtümliche Magie und rustikale Folklore beinhaltet.
Aufgrund des übersichtlichen Aufbaus der Abenteuer eignet sich die Anthologie auch gut für den Einstieg in SHADOWRUN, gerade auch um Neulingen das Flair der Spielwelt näherzubringen. Dass die Szenarien quasi um die Ecke spielen und mit Elementen wie Reality-Shows oder verschrobenen Kleinstadtgestalten verbunden sind, die wir auch aus unserem völlig weltlichen Alltag kennen, erhöht die Unterhaltung um ein weiteres.
Der Soundtrack für rustikale Geschäfte im Schatten: HORN – Mohngang / GAMMA RAY – Land of the Free / THEM – Fear City
Würfeln und blättern, statt lauschen und headbangen – In der Rubrik „Dice ‚em All“ stellen wir euch ausnahmsweise keine Musik vor, sondern Rollen- und Brettspiele.
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