Nebel, Rauch und undurchsichtige Machenschaften lassen sich in „Neo Noir“ finden. Der Band enthält drei Szenarien für das Cyberpunk-Rollenspiel SHADOWRUN, die sich thematisch an die Klassiker des Film Noir anlehnen. Wer sich darunter nichts vorstellen kann, bekommt eine kompakte Übersicht samt Filmtipps zur Verfügung gestellt. Geschichten, die im Dunkel der Stadt spielen, in denen nicht immer alles so ist, wie es scheint und die Helden der Geschichte am Ende als Verlierer dastehen – funktioniert das?
Ist dieser Run „Eine Nummer zu groß“?
In „Eine Nummer zu groß“ bekommen die Runner ihren Auftrag von einer Dame in Nöten, die sie stilecht in einer verrauchten Lounge bei Jazz-Musik treffen. Das Klischee verlangt es, dass die Auftraggeberin nicht ganz ehrlich ist und die Spielfiguren in eine Situation manövriert, die vielleicht eine Nummer zu groß für sie ist, wie es der bereits andeutet.
In dieser Situation sind sie nicht allein. Ein orkischer Privatermittler steht ebenfalls im Dienst der attraktiven Frau und wird in diesem Szenario zum dauerhaften Begleiter der Runner. Es wird vorgeschlagen, dass er in passenden Momenten die Situation aus dem Off im Stile der zynischen Film-Noir-Antihelden kommentiert.
Das ist einerseits charmant und stimmungsvoll, andererseits drängt es aber auch die Spielfiguren ein Stück aus dem Rampenlicht. Für ein so kurzes und kompaktes Szenario, das ein einem längeren Spielabend durchgespielt werden kann, ist es als Stilmittel allerdings völlig in Ordnung. Viel Tiefe oder Originalität bietet „Eine Nummer zu groß“ ohnehin nicht, ist aber ein solider Run für frische Charaktere.
Auf St. Pauli sitzen die Runner „Zwischen den Stühlen“
„Zwischen den Stühlen“ ist ein Szenario, in dem die Runner die angefangenen Ermittlungen eines angeschlagenen Privatdetektivs weiterführen sollen. Ein mysteriöser Mordfall führt sie in die Unterwelt von St. Pauli und mitten in ein Netz der Intrigen. Eine korrupte Polizei und skrupellose Gangster machen ihnen in den nebligen Gassen Hamburgs das Leben schwer, sorgen aber auch für eine abwechslungsreiche Handlung.
Diese ist zwar sehr linear, dafür aber auch spannend und dicht beschrieben. Der Platz, den das Szenario in „Neo Noir“ einnimmt ist sogar fast zu knapp, um all die Verwicklungen darzustellen. Damit diese sich den Spieler*innen voll und ganz erschließen, sollte die Spielleitung eher ein langsames Erzähltempo vorgeben, auch wenn die Handlung ein straffes Tempo vorgibt.
Morde sorgen für „Schatten der Furcht“
Mehr Platz, nämlich die Hälfte des Bandes, bekommt „Schatten der Furcht“ eingeräumt. Allerdings ist dieses Szenario auch deutlich komplexer und gibt in der Einleitung Tipps, wie es generell aufgezogen werden kann. Groß-Frankfurt wird von einer Mordserie in Atem gehalten, in der es zunächst nur wenige Hinweise und Anhaltspunkte gibt.
Der Einstieg kann sich entsprechend zäh gestalten, führt jedoch auch in eine ruhige, emotionale Krimi-Geschichte, wie sie bei SHADOWRUN nur selten vorkommt. Dass verschiedene Lösungswege, darunter auch actionreichere Ansätze, vorgezeichnet werden, lässt das Szenario zunächst etwas aufgebläht wirken.
Dadurch wird der Spielleitung aber auch viel Arbeit abgenommen und eine Sorgfalt demonstriert, die in allen Abschnitten von „Schatten der Furcht“ zu bemerken. Auch wenn es durchaus dramaturgische Schwächen hat und der Plot im Hintergrund unnötig kompliziert ist, will das Szenario möglichst viele Spieler*innentypen abholen und hat dabei ein Auge auf mehrere mögliche Entwicklungen, was der Handlung insgesamt mehr Tiefe verleiht.
„Neo Noir“ schafft einen neuen Blickwinkel auf SHAODWRUN
Unterm Strich sind die drei Szenarien in „Neo Noir“ gut gelungen. Handwerklich sind sie einwandfrei aufgebaut, zudem sehr gut geschrieben. Die Film-Noir-Atmosphäre kommt gut rüber und sollte auch dank der Einleitung gut an den Spieltisch zu bringen sein. So entsteht ein neuer Blickwinkel auf das Cyberpunk-Rollenspiel.
Fraglich ist, wie gut die Ideen zünden, wenn sie mit der regellastigen Wirklichkeit von SHADOWRUN konfrontiert werden. Zauberei und Matrixausflüge können das verrauchte Ambiente der nächtlichen Mysterien schnell aushebeln. Wenn aber die gesamte Spielrunde sich auf das Film-Noir-Feeling einlässt und die Stimmung halten kann, bleibt ein Spielerlebnis, das sich von anderen SHADOWRUN-Szenarien markant unterscheidet.
Der Soundtrack für eine urbane Welt der Schatten: LONG DISTANCE CALLING – Ghost / LORD VIGO – Danse de Noir / BOHREN & DER CLUB OF GORE – Piano Nights
Würfeln und blättern, statt lauschen und headbangen – In der Rubrik „Dice ‚em All“ stellen wir euch ausnahmsweise keine Musik vor, sondern Rollen- und Brettspiele.
Tolle Stimmung, schön zu spielen, Abenteuer etwas „gerade aus“ aber tolle Genre für Shadowrun