SHADOWRUN ist ein Pen-and-Paper-Rollenspiel, das in einer alternativen Zeitlinie spielt, die in zwischen im Jahr 2080 angekommen ist. High-Tech und Magie prägen die Welt, beherrscht wird sie jedoch von skrupellosen Konzernen. Die Spielhilfe „Konzerngewalten“ stellt die zehn mächtigsten Unternehmen vor: Mega-Konzerne, die keinem Staat Untertan sind und in ihrer eigenen Gerichtsbarkeit wirken.
Die Macht der Konzerne kennt im Jahr 2080 keine Grenzen
In SHADOWRUN hat die Geschichte bereits vor langer Zeit eine andere Richtung eingeschlagen. Im Jahr 1999 schießen Sicherheitsleute von Seretech in New York etwa 200 hungernde Menschen nieder, die einen Gefahrgut-Konvoi der Firma angreifen, da sie denken, dass es sich um eine Lebensmittellieferung handelt. Dieser tragische Grund wird bald zur Nebensache, denn die Gerichte beschließen, dass Seretech seine Geschäfte notfalls auch mit Waffengewalt sichern darf und somit rechtens gehandelt hat. 80 Jahre später gibt es längst einen eigenen Internationalen Konzerngerichtshof, in dem die zehn Mega-Konzerne ihr eigenes (sehr großes) Süppchen kochen.
„Konzerngewalten“ stellt diese zehn Unternehmen in SHADOWRUN-typischer Manier vor: Mal flapsig, mal sachlich, in der Regel aber unterhaltsam, fassen Charaktere aus der Spielwelt zusammen, was den jeweiligen Megakonzern auszeichnet, wer was sagen hat und welche Gerüchte derzeit im Umlauf sind. Den Anfang mach eine allgemeine Einführung in den „post-kapitalistischen Korporativismus“ oder „Neo-Feudalismus“ der Konzerne, deren Macht nur von den anderen Giganten begrenzt wird.
Diese Beschreibung ist, wie einer der fiktiven Kommentatoren im Buch anmerkt, „deprimierend“, vermittelt aber auch einen plastischen Eindruck zu diesem Teil der Spielwelt. Die Mega-Konzerne sind wie urtümliche Monster, denen einzelne Menschen nichts wert sind und die mühelos ganze Landstriche ausbluten lassen können, wenn es ihrem eigenen Vorteil dient. Passenderweise – und damit sind wir bei einer der phantastischen Besonderheiten, die SHADOWRUN von anderen Cyberpunk-Welten abhebt – ist der Chef des in Deutschland sitzenden Mega-Konzerns Saeder-Krupp ein uralter Drache, der Menschen wie lästige Staubkörner wegpusten kann.
„Konzerngewalten“ strotzt vor Informationen
Die Unterschiede zwischen den zehn Mega-Konzernen werden im Buch anschaulich dargestellt. Die schwerindustrielle Waffenschmiede Ares, das von dunklen Geheimnissen durchzogene Aztechnology, die absolute Loyalität verlangenden japanischen Konzerne Mitsuhama, Renraku und Shiawase, der Unterhaltungsgigant Horizon und weitere wie Evo, Spinrad, Wuxing und eben Seader-Krupp bekommen alle einen gebührenden Platz im Rampenlicht.
„Konzerngewalten“ strotzt vor Informationen und Spielanregungen. Um jeden der Mega-Konzerne lässt sich eine eigene Kampagne spinnen, wenn man die Arbeit nicht scheut. Allerdings werden viele der Figuren, Organisationen und Ereignisse mit einer Selbstverständlichkeit vorgestellt, die nicht nur SHADOWRUN-Neulinge überfordert, sondern auch altgediente Kenner/innen des Metaplots bisweilen die Stirn runzeln lassen dürfte.
Der bereits erwähnte Ingame-Plauderton, in dem die Spielhilfe größtenteils geschrieben ist, lässt keinen Raum für große Erklärungen. Begriffe aus der SHADOWRUN-Historie fallen auf jeder Seite, werden aber nicht weiter erklärt. In der Logik der Texte richten sich die fiktiven Autor/innen an ein wissendes Publikum, dass mit seinen bissigen Anmerkungen eher noch mehr Fragen aufwirft, als sie zu beantworten. Da auch das Grundregelwerk keinen profunden Überblick zur Geschichte der Spielwelt bietet, hilft in diesem Punkt letztlich nur der Besuch von Internetquellen.
Generell ist „Konzerngewalten“ keine serviceorientierte Spielhilfe. Es gibt keinen Index, dafür ein ausuferndes und somit unübersichtliches Inhaltsverzeichnis. Damit lassen sich die über den Band verteilten neuen Vor- und Nachteile zur Ausgestaltung der eigenen Spielfigur zwar finden, eine kompakte Übersicht oder Tabelle wäre aber hilfreicher gewesen.
Eine reichhalte Quelle für SHADOWRUN-Expert/innen
Unterm Strich bleibt somit ein zwiespältiger Eindruck. „Konzerngewalten“ ist eine optisch gelungene und unterhaltsame Spielhilfe, die viel Content für Cyberpunk-Abenteuer am Spieltisch bietet. Mit ein bisschen mehr Sorgfalt wäre das Buch aber noch nützlicher geworden. Stattdessen irritieren nebulöse Andeutungen zur Spielwelt-Historie und der fehlende Index sorgt für unnötige Blätterei. SHADOWRUN-Expert/innen finden in „Konzerngewalten“ jedoch eine reichhaltige Quelle von Informationen, die nicht nur den Status Quo aktualisiert, sondern auch anregende Ideen für die eigene Spielrunde bietet.
Der Soundtrack für eine Welt, die von Konzernen und Maschinen regiert wird: FEAR FACTORY – Aggression Continuum / SPACE CHASER – Give Us Life / BEARTOOTH – Below / GODSLAVE – Positive Aggressive / PERTURBATOR – Lustful Sacraments
Würfeln und blättern, statt lauschen und headbangen – In der Rubrik „Dice ‚em All“ stellen wir euch ausnahmsweise keine Musik vor, sondern Rollen- und Brettspiele.
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