Sepultura - Beneath The Remains vs. Arise

Review

Vor dem Anpfiff

In Thrasher-Kreisen ist es fast eine Art Glaubensfrage, „Beneath The Remains“ (1989) oder „Arise“ (1991), welches von beiden ist die ultimative SEPULTURA-Scheibe? Wahre Fans verstehen da auch keinen Spaß, und gehen schon gar keine Kompromisse ein. Es gibt nur entweder oder. Das kennen wir ja beispielsweise beim Fußball, wenn in Glasgow Celtic und die Rangers aufeinanderprallen. Oder aber, um in SEPULTURA’s Heimatstadt zu bleiben, wenn sich Atlético Mineiro und Cruzeiro Belo Horizonte heiße Duelle liefern.

Was liegt also näher, als diese beiden Granaten-Scheiben ganz einfach mal quasi im Derby gegeneinander antreten lassen? Ausgang völlig offen. Der Schiri pfeift an, die Schlacht beginnt.

Die erste Halbzeit

Und nach einem zarten Akustik-Intro geht „Beneath The Remains“ sofort zur Attacke über, der Titelsong walzt gleich mal alles platt. Geschwindigkeit und Intensität sind umgehend atemberaubend. Das ändert sich auch mit dem folgenden „Inner Self“ kaum, außer das hier das Tempo auch immer wieder sehr gekonnt und fies verschleppt wird. Der zweite Hit der Scheibe ist eine Hymne für das eigene Selbstbewusstsein, ein Statement, Pflicht auf jeder damaligen Dorfdisko.

Hat „Arise“ dieser unglaublichen Anfangswucht überhaupt etwas entgegen zu setzen? Aber sicher doch, denn auch hier ist der Titelsong gleich mal ein absoluter Treffer, ab durch die Mitte und voll auf die Zwölf. Was für ein Brett! Und auch hier schalten SEPULTURA dann mit „Dead Embryonic Cells“ etwas runter, bleiben jedoch ungemein drückend.

Immer wieder gezielte Attacken und Tempoverschleppungen von beiden Kontrahenten, dieses Grundrezept beherrscht das komplette Spiel. Den Gegner einschnüren, attackieren, immer wieder, dagegen ist kein Kraut gewachsen. Diesen offenen Schlagabtausch symbolisieren „Stronger Than Hate“ und „Mass Hypnosis“ auf der einen sowie „Murder“ und „Desperate Cry“ auf der anderen Seite. Man schenkt sich absolut nichts. Gerade letztgenannter Song ist auch so ein zeitloser Klassiker, eine unbarmherzige Walze der Verzweiflung. Zwischendurch drückt sie auch immer wieder schön auf die Tube. Und so geht es schließlich durchgeschwitzt in die Kabinen, durchschnaufen, Kräfte wieder sammeln. Dieses Päuschen haben sich beide redlich verdient.

Die zweite Halbzeit

Plätze wieder einnehmen, anschnallen, es geht weiter. „Beneath The Remains“ startet mit „Sarcastic Existence“ entschlossen und konzentriert in den zweiten Durchgang, aber frei nach Otto Rehhagel eher mit kontrollierter Offensive. Das ändert sich jedoch rasch wieder, denn mit dem nächsten Hit „Slaves Of Pain“ nimmt man umgehend wieder richtig Tempo auf.

Ganz anders „Arise“, denn hier kommt man mit Karacho und „Subtraction“ zurück auf den Rasen. Kaum zu glauben, aber der Pausentee hat scheinbar nochmal zusätzlich aufgeputscht. Dann folgt mit „Altered State“ der Wechsel überwiegend ins Midtempo, natürlich schon mit gelegentlichen Ausbrüchen. Es bleibt also unheimlich dicht und intensiv, ein Duell auf Augenhöhe und unheimlich hohen Niveau.

Und die beiden Kontrahenten lassen einfach nicht nach, wie weiland Olli Kahn, weiter immer weiter. Die unglaublichen Riffsalven von Cavalera und Kisser beherrschen das Geschehen, kein Song schenkt dem anderen etwas, diese Schlacht wird in die Geschichte eingehen, so viel ist jetzt schon sicher. Ob nun „Lobotomy“ oder „Under Siege (Regnum Irae)“, die Wucht ist nach wie vor phänomenal, und vor allem ungebrochen.

So geht es in die letzten Minuten der regulären Spielzeit, mit „Hungry“ gegen „Meaningless Movements“, Power-Thrash vom allerfeinsten. Und beide halten den unglaublichen Druck nach wie vor aufrecht. Wie bitte soll man das verteidigen? Das ist Ballbesitz in Vollendung, Pressing in Perfektion. Also einen Stürmer bringen und noch etwas riskieren, auch auf die Gefahr einer Niederlage hin? Oder mauern für Schadensbegrenzung? Beide Gegner entscheiden sich für den Angriff, logisch, und beide haben damit Erfolg.

Die Nachspielzeit

Hoffentlich pfeift der Schiri nicht pünktlich ab, das kann es doch noch nicht gewesen sein, wir wollen mehr! Was, nur vier Minuten Nachspielzeit, da geht die Uhr doch sicher falsch? Egal, besser als gar nichts. Und der allerletzte Schlagabtausch „Primitive Future“ gegen „Infected Voice“ hat es nochmal absolut in sich, ein Kampf mit offenem Visier und unbändigem Kampfgeist bis zum bitteren Ende. Der Abpfiff, das Ende, die Spieler sinken völlig ausgepowert auf den Rasen darnieder. Das Publikum ist geplättet wie selten zuvor.

Fazit

Ein Kampf der Giganten, ein gnadenloser offener Schlagabtausch, beide wollen den Sieg um jeden Preis. Doch es gab selten ein spannenderes und niveauvolleres Unentschieden als dieses hier. Ein Remis mit zwei verdienten Gewinnern.

Die Alten werden sich immer an dieses legendäre Derby schwelgend erinnern, und  die Jungen sollten sich auch heute noch dieses unglaubliche Duell zu Gemüte führen, am besten in kurzen regelmäßigen Abständen.

Die knapp zehn Jahre rund um 1990 herum, also von „Schizophrenia“ (1987) bis hin zu „Roots“ (1996), waren eh die spannendsten in der Geschichte von SEPULTURA. Diese Wandlung vom rohen ungestümen Thrash-Act hin zu einem Groovemonster mit deutlicher Tribal-Schlagseite war absolut bemerkenswert. An diese eindrucksvolle Dekade konnten die Jungs danach qualitativ leider nie wieder anknüpfen.

21.11.2018
Exit mobile version