Was sucht ihr mächtig und gelind
Ihr Himmelstöne, mich am Staube?
Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube…
(J. W. v. Goethe, Faust I)
Vielleicht liege ich nicht weit genug „am Staube“, vielleicht bin ich nicht „weich“ genug – aber Himmelstöne sind das in meinen Ohren nicht, die das Ein-Mann-Projekt SEELENSCHNITT auf seiner aktuellen EP „4571-12571“ präsentiert. Begriffe wie „mächtig“ und „gelind“ sind ebenso fehl am Platz. Im Grunde stimmt nur der letzte Satz des obigen Zitats: Mir fehlt beim Anhören der „Botschaft“ SEELENSCHNITTs der Glaube – der Glaube, dass jemand so etwas tatsächlich Ernst meinen oder nehmen kann.
Diese Aussage beziehe ich zunächst mal auf die Musik: „4571-12571“ beginnt mit dem Stück „Sternstunde Stillstande“, bei dem es sich im Wesentlichen um eine abstruse Noise-Collage handelt, die sich um ein zentrales Motiv aufbaut, welches zunächst auf der Gitarre, dann auf einem billig klingenden Synthesizer gespielt wird (der mich ein wenig an LACRIMOSAs Frühwerke erinnert). Was im ersten Moment durchaus einen gewissen Reiz ausübt, entpuppt sich schnell als unspektakulär, langweilig und vor allem nervtötend. Von Soundscape-Könnern wie LUSTMORD oder (in extrem) MERZBOW ist SEELENSCHNITT Lichtjahre entfernt – das Ganze wirkt lieblos zusammengeworfen, die Effekte klingen nach „Trial & (mostly) Error“ an den Reglern und eben nicht nach einem Gefühl für Dramaturgie. Das Gleiche gilt für das letzte Stück „Keller – Zerrbilder im Wasser“, das ganz ähnlich aufgebaut ist und mich genauso wenig mitreißt.
Jetzt der Schock: Die einrahmenden Stücke sind noch weit besser als die eigentlichen “Black Metal”-Songs „4571“, „10571“ und „12571“. Was Alleinunterhalter Samael hier aufbietet, ist nicht nur LoFi-Overkill – sprich: saft- und kraftlose Gitarren, kein (hörbarer) Bass, hintergründiges Schlagzeug und völlig unverständliche Stimmen – sondern auch musikalisch auf einem Niveau, für das der Begriff „dillettantisch“ noch schmeichelhaft ist. Mehr gibt es zur klanglichen Komponente von „4571-12571“ nicht zu sagen.
Damit ich der fünfzigminütigen EP aber gerecht werde, muss ich natürlich auch den inhaltlichen Aspekt behandeln – womit wir bei dem kryptischen Titel „4571-12571“ angelangt wären. Es handelt sich hier weniger um einen geheimen Zahlencode, sondern schlicht und ergreifend um einen Zeitraum: 4. Mai (17)71 bis 12. Mai (17)71. Woher ich das weiß? Den Songtexten (die – nebenbei bemerkt – wirklich unterirdisch sind und mich erleichtert aufatmen lassen, dass ich die Vocals nicht verstehe) sind Begleittexte zur Seite gestellt, die Johann Wolfgang von Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ entnommen sind – und zwar aus genau den Briefen zwischen dem 4. und dem 12. Mai 1771. Die Idee, diesen Roman als Basis für atmosphärisch dichte Musik (das sollten die Stücke bestimmt mal werden) zu verwenden, finde ich gar nicht so schlecht. Ziemlich daneben finde ich dagegen, dass Samael die Briefe willkürlich und ohne entsprechende Hinweise gekürzt hat und zudem nicht einmal die Quelle der Texte angibt. Was ich im Licht der durchaus ansprechenden Idee sogar noch seltsamer finde, ist, dass Werthers Briefe von den genannten Tagen ganz am Anfang des Romans stehen – also eine gänzlich andere (nämlich positive) Stimmung vermitteln als die Musik das gerne täte, vor allem aber noch NICHTS mit Werthers tatsächlichen Leiden zu tun haben. Keine Ahnung, ob der Rest des Romans auf den nächsten 42 SEELENSCHNITT-Platten vertont werden wird – so jedenfalls kann ich nur mit dem Kopf schütteln.
Alles in allem ist die EP reine Rohstoff- und Zeit-Verschwendung (und hat in dieser Rezension auch deutlich mehr Worte bekommen als sie verdient hätte). Da ist mir die Bandinfo schon lieber – ein handgeschriebener Notizzettel(!) mit zwei Sätzen und der E-Mail-Adresse: Der ist schnell gelesen und schnell weggeworfen…
Die Musik ist nun wirklich alles andere als berauschend…aber die Produkion schießt wirklich den Vogel ab. Nicht nur der Bass ist unhörbar…das Schalgzeug schließt sich dem fast zu 100% an. Ab und an ist mal ein Wummern im Hintergrund zu hören, das wars dann aber auch. Umso unverständlicher wird das ganze wenn man bedenkt dass Samael in einer vergleichsweise galaktisch guten Band wie Stilers Tod aktiv ist, ergo zumindest etwas Ahnung von der Materie haben sollte…