Schammasch - The Maldoror Chants: Old Ocean

Review

Wie zum Teufel soll man so ein sperriges, literarisches Werk wie Die Gesänge des Maldoror, oder auch Les Chants De Maldoror, musikalisch umsetzen? Das einzig überlieferte Werk des französischen Dichters Comte de Lautréamont ist für Surrealisten so etwas wie ein Referenzwerk. Gleichzeitig wundert es wenig, dass eine Band wie SCHAMMASCH dieses Konvolut als Basis für eine Reihe von Konzeptwerken wählen würde, zumal der titelgebende Charakter Maldoror, eine Art Personifikation des Bösen, einige wirklich abscheuliche Untaten begeht. Oder zumindest davon berichtet. Die Interpretationsmöglichkeiten des Quellmaterials reichen über das geschriebene Wort hinaus und hinein in die Struktur und den Schreibstil per se, der gern mit einem Bewusstseinsstrom verglichen wird. Wie zum Teufel wird man einem solchen Werk gerecht?

SCHAMMASCH öffnen das zweite Kapitel der Gesänge des Maldoror

„The Maldoror Chants: Old Ocean“, die zweite Veröffentlichung in der geplanten Reihe, die SCHAMMASCH diesem Werk widmen, ist im Gegensatz zur ersten Ausgabe „The Maldoror Chants: Hermaphrodite“ keine EP bzw. kein Mini-Album, sondern ein ausgewachsenes Vollzeit-Werk, was Anhänger der Schweizer Schwarzwurzel-Avantgardisten sicher freuen wird. Immerhin hat die Platte ganze fünf Jahre auf sich warten lassen. Ja, so lange ist die Veröffentlichung des Vorgängers „Hearts Of No Light“ schon her. Und bei einer solchen Band, deren Sound praktisch stets im Wandel ist und die ständig nach neuen, unkonventionellen Wegen sucht, um ihre musikalische Vision umzusetzen, ist die Frage nach Neuausrichtung oder Fortsetzung tatsächlich extrem interessant.

Ein Einblick darin, wie ein solches, sperriges Werk adaptieren kann, liefert gleich der Opener „Crystal Waters“. Ähnlich der Literaturvorlage nämlich wirkt auch dieser Track fast wie aus einem Bewusstseinsstrom heraus entstanden. Das wirkt im ersten Moment tatsächlich ein bisschen befremdlich, zumal die Schweizer sich alle Zeit der Welt nehmen, um den Track langsam und bedächtig auf Betriebstemperatur zu bringen. Dann, nach nicht ganz fünf Minuten, öffnet sich der Song seinen Hörern endlich mit intuitiv zwischen Cleans und Gutturals wechselndem Gesang, rituellen Drums und ziemlich fetten, aber dennoch texturiert klingenden Gitarren. Auf dem Papier sieht das alles zum Scheitern verurteilt aus, doch die Schweizer vollführen das unwahrscheinliche Kunststück, hieraus nicht nur einen gelungenen Opener, sondern ein beispielhaftes Statement in Sachen Dramaturgie und schließlich Katharsis zu setzen.

Dabei kann man vor allem in der zweiten Albumhälfte überraschende Entdeckungen machen

So einen Einstieg zu verdauen ist schon nicht leicht, aber die Mühe auf Empfängerseite lohnt sich. Im weiteren Verlauf gehen SCHAMMASCH nicht ganz so minutiös vor, was die Songbauten angeht, arbeiten jedoch nach wie vor auf extrem hohem Niveau. „They Have Found Their Master“ klingt, als würden die Herren etwas „Fear Inoculum“ in ihren Sound hinein bauen mit den pulsierenden Klangtexturen, die mit fast hypnotischer Grazie herum flirren. Zum Ende des Songs passiert dann etwas Kurioses: Plötzlich ertönen fast ausgelassen klingende Folk-Melodien, wie man sie vermutlich eher bei Bands wie ENSIFERUM erwarten würde. Und im Rausschmeißer „I Hail You, Old Ocean“ wird dies sogar noch weiter vertieft hin zum Punkt, wo sich das Schweizer Quintett klanglich ein bisschen vor SAOR zu verneigen scheint (man denke an „Guardians“).

Im Grunde stolpert unsereins bei jedem Hördurchlauf eigentlich nur über den Track „Your Waters Are Bitter“, der zwar auch nicht verkehrt und im Gesamten der aggressivste und düsterste Cut der Platte ist, aber eine nicht ganz so zufriedenstellende Progression vorweist wie die anderen Stücke, die viel zielgerichteter geschrieben wirken. Es fehlt eine nennenswerte Spannungskurve in dem Stück, auch wenn der Part um die 4:50-Minuten-Marke sehr gefällt, in dem man als Hörer das Gefühl hat, dass intrusive Gedanken auf einen einreden. Es ist sehr oppressiv und steigert sich in seiner Intensität ziemlich geschmackvoll, aber der Song drum herum hätte etwas mehr Dynamik und Flair vertragen können.

„The Maldoror Chants: Old Ocean“ bleibt trotz seiner vorsichtig optimistischen Vibes jedoch ein sperriges Werk

Das ist weißgott kein Dealbreaker, denn „Your Waters Are Bitter“ ist schon ziemlich gut mit einigen ansprechenden Klangtexturen. Der Rest des Albums ist aber weit besser und zeigt die Klasse der Band vortrefflich auf. „The Maldoror Chants: Old Ocean“ neigt jedoch dazu, die Schwärze etwas mehr als erwartet aufzuweichen, was der abschließend auftauchende Hang zu folkiger Melodik ganz klar verkörpert. Zwischen den Zeilen der Presseinfo lesend könnte man den Eindruck gewinnen, dass dies eine ganz bewusste Entscheidung gewesen sein könnte, heißt es hier schließlich wörtlich:

Old Ocean inherits an underlying sense of a longing; a longing to step outside of human society, to wash away the profanities and petty struggles – to dissolve into the unfathomable yet somewhat peaceful void of the sea, vanishing into the great unknown.

Damit werden die Schweizer nicht automatisch zugänglicher oder weicher, weil man auf Empfängerseite immer noch eine Menge Zeit in „The Maldoror Chants: Old Ocean“ investieren muss. Aber als Schwarzwurzelgeist muss man eben auch gewillt sein, ein paar positivere, oder sagen wir mal besser: abenteuerlustige Vibes in Empfang zu nehmen, vor allem eben in der zweiten Albumhälfte. Die Belohnung dafür ist jedoch ein gewohnt vielschichtiges, detailverliebtes und durchdachtes Album, mit dem SCHAMMASCH wieder unter Beweis stellen, wie elegant sie die verschiedenartigsten Einflüsse umher wirbeln können.

19.10.2024

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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